„Liebe tazzler, seid ihr noch unabhängig?“

Einige LeserInnen sind von der taz zurzeit schwer enttäuscht, geben uns aber gleichzeitig hochinteressante Anregungen für die weitere Berichterstattung. Danke für die klare Kritik!

16. Mai in Stuttgart: Aufgrund der aktuell gelten Pandemiemaßnahmen wurden 5.000 Teilnehmer:innen einer Demonstration gegen die Coronabeschränkungen auf dem Cannstatter Wasen zugelassen. Es kamen sehr viel mehr. Sie wurden, wie diese Demonstrantin, auf eine Ausweichfläche verwiesen, mit reichlich Platz. Foto: Der Fotograf Jens Gyarmaty, 1981 in Landau/Pfalz geboren, studierte Kulturwissenschaft und Dokumentarfotografie. Heute erforscht er in seiner Arbeit soziokulturelle Hintergründe und verortet sie im Zeitgeschehen. So auch bei den Bildern dieser Ausgabe.

Etliche LeserInnen und GenossInnen haben sich die taz in den letzten Wochen sehr viel kritischer gewünscht. Einige kündigten sogar ihr Abo oder ihren Genossenschaftsanteil. Ihr Vorwurf: Wir haben viele wichtige Fragen in der taz gar nicht erst gestellt. Sie fragen: Lebt Journalismus nicht von der Kritik, gerade bei unserer von Konzernen unabhängigen taz? Gerade in Ausnahmezeiten? Hätten wir nicht die Regierungsmaßnahmen von Anfang an stärker hinterfragen sollen? Haben wir nicht viel zu wenig unterschiedliche Meinungen abgebildet? Haben wir in der medizinischen Recherche nicht auch zu wenig geleistet? Die zum Teil sehr scharfe Kritik unserer LeserInnen hat diese besondere taz Ausgabe mit inspiriert, deshalb geben wir den KritikerInnen als Auftakt für unsere „Entschwörungstaz“ noch einmal größeren Raum. Wir haben alle viel gelernt in diesen letzten Wochen. Und alle zusammen haben wir zum allerersten Mal eine Pandemie mit globalen, radikalen Lockdown-Maßnahmen erlebt. Auch mithilfe der LeserInnenkritik werden wir den noch kommenden Herausforderungen hoffentlich immer besser gerecht. Gaby Sohl, Leserbriefredaktion

Warum nicht emanzipierter?

Liebe taz, wir freuen uns, endlich die Muße für den Schritt in die Genossenschaft gefunden zu haben. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Schritt ist nicht durch die überzeugende Corona-Berichterstattung der taz ausgelöst, Letztere hätte in unseren Augen durchaus etwas emanzipierter erfolgen können.

Jens und Andrea Engler, Oldenburg

...

Warum so affirmativ?

Als langjähriger taz-Leser bin ich entsetzt über die affirmative und kritiklose Berichterstattung. Wo bleiben kritische Stimmen, Nachfragen und Berichte über Andersdenkende? Insbesondere vermisse ich eine vertiefte Berichterstattung über den Bericht aus dem Innenministerium. Wo bleiben Nachfragen an die Regierung? Rolf Zimmermann, Kordel

...

Bildet bitte die Meinungsvielfalt ab

Als Leser und Noch-Immer-Genosse möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich in Zeiten der Coronamaßnahmen nichts davon spüre, dass ihr/wir unabhängig sind. In der Tradition der taz wäre es die Pflicht dieser „unabhängigen“ Tageszeitung, eine breite Meinungsvielfalt abzubilden und ein Vorreiter zu sein für eine kritische Auseinandersetzung mit der Einschätzung der Coronalage und den daraus abgeleiteten, beispiellosen, die Grundrechte aussetzenden Entscheidungen. Wenn ihr der Auffassung seid, dass ihr noch in dieser Tradition agiert und eine kritische Auseinandersetzung in eurem/unserem Blatt abbildet, lasst es mich wissen, beweist es mir.

Markus Scheffer, Geldern

...

Andere Meinung nicht geduldet?

In vereinzelten Leserbriefen wird zwar zarte Kritik abgedruckt, aber in der Berichterstattung wird keine anderslautende Meinung erklärt, geschweige denn geduldet. Virologen, Mikrobiologen und Epidemiologen mit anderen Erklärungen finde ich nur im Netz oder im TV. Zeitgleich und haarsträubenderweise werden in der taz alle Teilnehmer von Freiheits- und Grundgesetzdemonstrationen mit dem neuen Schimpfwort „Aluhutträger“ belegt. Und das bevor überhaupt absehbar ist, in welche Richtung diese Bewegung geht und wer sich dort durchsetzt. Es reicht!

Michael Nagursky, Hochstätten

...

Nur lustlos durchgeblättert ...

Das hätte ich mir vor ein paar Wochen nicht vorstellen können, dass ich die taz nur lustlos durchblättere und dann ganz zur Seite lege. Das Coronavirus scheint ja die letzten kritischen Stimmen verstummen zu lassen. Der heutige polemische Artikel über Impfkritiker war für mich nur der letzte Tropfen. Ich bin Genossin geworden, weil ich unabhängigen Journalismus unterstützen wollte. Die wochenlange, einseitige Corona-Berichterstattung fällt für mich nicht darunter. Karin Schäfer, Bielefeld

...

„... ich fühle mich entmündigt“

In der taz wird bestätigt, dass Facebook „aggressiv gegen Falschinformationen vorgeht und dass Tausende Beiträge, die zur unmittelbaren Gefahr werden könnten, entfernt werden“. Mit so einer Zensur fühle ich mich entmündigt. Betroffen erfährt man, dass die Bundesregierung die Schadenanalyse eines hohen Beamten im Innenministerium unter den Tisch kehrt und den Verfasser beurlaubt. Warum? Der Verfasser hat recherchiert und hat festgestellt, dass die Folgeschäden der Coronamaßnahmen mittlerweile größer sind als ihr Nutzen. Die Lahmlegung der Krankenhäuser zugunsten eventueller Coronafälle verhindert lebenswichtige Untersuchungen und Operationen von anderweitig erkrankten Patienten. Es wird geschätzt, dass die Suizidrate gestiegen ist und weiter ansteigen wird, einerseits durch Vereinsamung von Menschen, andererseits von in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohten Menschen. Die Versorgungslage der gesamten Bevölkerung ist gefährdet durch den Ausfall von lebenswichtigen Infrastrukturen. Sehr geehrte taz-Redakteure, warum kann ich so etwas nicht in der taz lesen? Erika Leiste München

...

Bitte bessere medizinische Recherche

Als Arzt bin ich von euren Berichten über die medizinischen Aspekte nicht sehr angetan. Ein Beispiel: Es wurde bekannt gemacht, dass das Virus auf Oberflächen bis zu 48 Stunden, unter extremen Umständen auch deutlich länger nachweisbar ist. Im ersten Interview bei Markus Lanz berichtete Professor Hendrik Streek, dass er versucht hat, alle Abstriche, die in Gangelt genommen wurden, anzüchten zu lassen und dass dies dem Labor in keinem einzigen Fall gelungen ist, auch nicht in einem Haushalt mit mehreren hoch akut infizierten Personen. Dieser Widerspruch muss doch in die Augen springen! Eine Recherche hätte ergeben, dass der Virusnachweis der Hygieniker durch die Polymerase-Kettenreaktion erfolgt, die das Genom, die RNS, des Virus nachweist. Die RNS ist aber nicht infektiös ohne die Eiweißhülle. Also ist die Schlussfolgerung, dass die Eiweißhülle sehr schnell zerfällt und die Viren dann zwar noch nachweisbar, aber nicht mehr infektiös sind. Das in die Debatte als Frage einzubringen hätte wichtige Konsequenzen gehabt, denn es bedeutet ja, dass Übertragungen durch Berührung infizierter Oberflächen nicht möglich sind. Puri R. Fey, Köln

...

Ein überheblicher, spöttischer Blick

Euer überheblicher, diskriminierender und spöttischer Blick (Stichwort „Aluhutträger“) auf eine täglich wachsende Anzahl sehr besorgter Bürger, die ob der extremen Einschnitte in persönliche Freiheiten, geplanter Einführung einer Corona-App (mit Offenlegung aller Aufenthaltsorte und, auch zufälliger, Kontakte) mehr als besorgt sind, ist kaum noch zu ertragen.

Peter Weiler, Weisenheim

...

Regieanweisungen – verhältnismäßig?

Ist das alles verhältnismäßig, was wir als Regieanweisungen erhalten? Ich frage mich, ob der gesellschaftliche Notstand durch die Coronapandemie zu rechtfertigen ist. Was rechtfertigt eine Entscheidung, die 10 Millionen Menschen in Kurzarbeit schickt und die Arbeitslosenquote über die fast schon vergessene 5-Prozent-Marke treibt? Was rechtfertigt einen Notstand, der vielen Menschen mit Mietschulden früher oder später eine Räumungsklage bescheren wird, auch wenn diese Gefahr zeitnah erst einmal durch entsprechende gesetzliche Regelungen abgewendet werden konnte? Was rechtfertigt den rasanten Anstieg der Kinderarmut in unserer Republik? Was rechtfertigt die immer längeren Menschenschlangen vor den Ausgabestellen der Tafeln? Unter den circa 150.000 Verstorbenen der letzten zwei Monate befanden sich circa 6.650 Menschen, bei denen ein Corona-Infekt nachgewiesen wurde. Ist es Ketzerei, danach zu fragen, wie viele dieser 6.650 Menschen ursächlich an der Corona-Infektion gestorben sind?

Jan Bonorden, Eschede

...

Nicht berichtet, nicht relativiert

Wir sehen Bilder im Fernsehen und lesen in der Zeitung, dass die Stadt Bergamo Särge mit Toten auf Militärlastern aus der Stadt bringen ließ, weil „die Leichenhäuser überfüllt sind“. Das macht Angst. Nicht berichtet wird, dass in Bergamo lediglich 25 Menschen pro Tag eingeäschert werden können und Bestattungsunternehmen schließen mussten. Daher wurden 60 Leichen, die eingeäschert werden sollten, in benachbarte Orte gefahren. Die taz hat hierzu nicht berichtet, aber eben auch nicht relativiert. Renate Grolig, Wölfersheim

...

Wesentliche wissenschaftliche Befunde

Liebe taz, ich bin Kinderchirurg und muss sagen, dass in der taz wesentliche wissenschaftliche Befunde einfach nicht wahrgenommen werden. Professor John Ioannidis (Epidemiologe, Stanford) hat schon am 17. März die Mortalität auf 0,1 Prozent geschätzt. Eine Seroprävalenzstudie (Antikörpertests in repräsentativer Stichprobe) der gleichen Arbeitsgruppe vom 14. April im Santa Clara County untermauert diese Einschätzung. Epidemiologen und Virologen aus New York, Oxford, Helsinki und Zürich kommen zum gleichen Ergebnis. Die wöchentliche Übersterblichkeitsstatistik für Europa zeigt für die Woche 15 eine Spitze nach oben, die bereits wieder absinkt. Guter Wissenschaftsjournalismus muss das zur Kenntnis nehmen und die Kontroversen darstellen. Wie wird die taz in zwei Monaten dastehen, wenn die Pandemie abgeklungen ist, die Letalität nicht höher als bei einer Grippepandemie war und niemand von Ihnen John Ioannidis, Knut Wittkowski, Karin Mölling oder Wolfgang Wodarg interviewt hat? Lutz Meyer, Berlin