Plötzlich beste Kumpel im Revierderby

Das Duell zwischen Dortmund und Schalke zeigt, wie schlecht in der Liga gewirtschaftet wird. Und wie gut Lobbyismus funktioniert

Auch für Geisterspiele braucht es Menschen: Im Hygienekonzept der Liga, ist genau festgeschrieben, wer sich wo im Stadion aufhalten darf

Von Daniel Theweleit

Es ist eine eigenartige Partnerschaft, in die der FC Schalke 04 und Borussia Dortmund während der vergangenen Wochen hineingedrängt wurden. Die beiden Revierklubs, die am Samstag zum Höhepunkt des ersten Geisterspieltags der Bundesligageschichte gegeneinander antreten werden (15.30 Uhr, live auf Sky), haben wunderbar harmoniert.

Hier der FC Schalke, dessen Name immer mitschwang, wenn hochrangige Vertreter der Vereine ihre Drohkulisse von einer Bundesliga aufstellten, die „in ihrer bisherigen Form nicht mehr existieren“ werde, sofern die Liga zum Saisonabbruch genötigt würde. Die Gelsenkirchener wären womöglich bald insolvent, wenn die TV-Zahlungen ausblieben, hieß es.

Und dort Hans-Joachim Watzke, der sich mit einem Interviewmarathon von Sky über Bild-TV, 11 Freunde sowie die FAZ bis hin zu „Markus Lanz“ zu einer Art Chefsprecher der Saisonfortsetzungsbefürworter aufschwang. Und der dann – selbstverständlich ohne Nennung des königsblauen Nachbarklubs – gerne Sätze sagte wie: Ohne Geisterspiele „säuft die ganze Bundesliga ab“.

Aufmerksame Zuhörer brauchten nicht viel Fantasie, um den dazugehörigen Nebensatz selbst zu ergänzen: ... und zuallererst Schalke 04. So übten die Schalker und der Dortmunder Geschäftsführer gemeinsam Druck aus, um eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu erwirken, die nach einer Umfrage des ZDF-„Politbarometers“ nur 32 Prozent der Deutschen befürworten. Das ist ein frappierendes Votum gegen einen Sport, dessen Protagonisten sich jahrelang einbildeten, von der ganzen Welt geliebt zu werden.

Diese skeptische Grundhaltung der Menschen gegenüber den Fußballern lässt sich gut verstehen, wenn man sich den FC Schalke 04 und Borussia Dortmund etwas genauer anschaut. Hans-Joachim Watzke brauchte ziemlich lange, bis er verstand, dass das in diesem Business tief verwurzelte Streben nach dem größtmöglichen Vorteil für die eigene Sache derzeit so abstoßend wirkt wie nie.

Während das ganze Land über Solidarität sprach, gefiel ihm die Idee, dass reiche Vereine in Not geratenen Klubs helfen, überhaupt nicht. Schließlich handle es sich um „Konkurrenten“, sagte er, „und da muss man das sehr genau miteinander austarieren, was noch Wettbewerb ist und was kein Wettbewerb mehr ist“.

Das waren Worte, hinter denen viele Zuhörer exakt die Härte spürten, mit der in der gesamten Fußballwelt versucht wird, auch noch den letzten Cent aus dem Geschäft herauszuquetschen. Selbst in der Krise.

Watzke entschuldigte sich; er hätte sich „freundlicher und empathischer ausdrücken können. Mea culpa“, erklärte er. Ob der Sauerländer zu den Leuten gehören wird, die den von vielen Seiten geforderten Wertewandel im Weltfußball forcieren, wird aber erst die Zukunft zeigen.

Schalke 04 wird dann womöglich schon eine Insolvenz hinter sich haben, denn der Klub hat seit vielen Jahren den Ruf eines Unternehmens, das trotz gewaltiger Einnahmen vonseiten des russischen Sponsors Gazprom, aus der TV-Vermarktung und aus dem Ticketverkauf bei kleinsten Erschütterungen in finanzielle Schwierigkeiten gerät.

Eine Insolvenz von Schalke 04 führte derzeit weder zum Abstieg noch zu Punktabzügen

Genau diese Art des Wirtschaftens ist ein weiterer Aspekt, der den professionellen Fußball so unsympathisch macht. Selbst wenn die Profis jetzt wieder kicken, bleibt die finanzielle Situation in Gelsenkirchen labil. Zumal niemand weiß, ob die Saison tatsächlich zu Ende gespielt wird, unter welchen Umständen die kommende Bundesligaspielzeit stattfinden wird und ob Einnahmen aus einem Europapokal die Bedrohung für die Gelsenkirchener abmildern.

„Es geht um die Existenz von Schalke 04“, hatte Marketingvorstand Alexander Jobst zwar schon früh betont und damit einen Satz formuliert, der ein gut funktionierendes Werkzeug der Lobbyisten war, die sich in den Machtzirkeln der Republik erfolgreich für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs eingesetzt haben. Wer wollte schon verantworten, dass dieser ruhmreiche, unterhaltsame und identitätsstiftende Verein sich in Luft auflöst?

In Wahrheit war aber immer klar: Auch eine Insolvenz würde den FC Schalke 04 nicht auslöschen. Das Stadion würde weiterhin in Gelsenkirchen stehen, die vielen Fans würden weiterleben, eine Insolvenz führte derzeit weder zu einem Abstieg noch zu Punktabzügen. So hart ein solcher Absturz auch wäre, überleben wird das königsblaue Wesen aus Gelsenkirchen genauso wie die Bundesliga mit dem BVB, der deutscher Meister werden möchte.

Nun treffen die beiden Klubs also am Samstag aufeinander, in einem leeren Stadion. Wobei Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge in der Sport Bild erklärte, er gehe von einem Milliarden­publikum in der ganzen Welt aus. Der nach frischem Sport dürstende Coronaplanet werde nach Deutschland blicken. Auf ein Revierderby, in dessen langem Vorlauf beide Vereine bestens funktionierende Rollen auf dem Weg zur Erfüllung eines gemeinsamen Wunsches gefunden haben: dass es endlich wieder losgeht.