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Die Bierkicker

Sie waren Teil der fast vergessenen Arbeitersportbewegung – und Olympiasieger: Ein neues Buch erzählt die Geschichte des Vereins SC Teutonia 10 aus Hamburg-Altona

Von René Martens

Dass für Amateur- und Freizeitsportler das gemeinsame Biertrinken eine große Rolle spielt, mag ein Vorurteil sein. Für jene überwiegend im Baugewerbe tätigen Arbeiter, die vor 110 Jahren in Altona den Verein SC Teutonia 10 gründeten, trifft es allemal zu. Als Inspiration für den Clubnamen diente ihnen das Teutonia-Bräu, ein Bier, das im Stadtteil produziert wurde.

Die Geschichte dieses Vereins erzählen Folke Havekost und Volker Stahl in ihrem Buch „Die Olympiasieger von der Allee“,und betrachtenswert ist diese nicht wegen des Bekenntnisses der Gründer zum Alkohol, sondern weil Teutonia Teil der weitgehend vergessenen Arbeitersportbewegung war, die sich ab 1893 formierte hatte und in der Zwischenkriegszeit – als der Arbeiter-Turn- und Sportbund in Altona bis zu 8. 000 Mitglieder hatte – ein kurzes Hoch erlebte.

Die Heimat der Teutonen ist seit jeher die Sportanlage in der heutigen Max-Brauer-Allee, die mittlerweile aus einem Naturrasen- und einem Kunstrasenplatz besteht. Sport wird hier seit dem Winter 1892/93 betrieben, zunächst auf einer Eisbahn.

Der Titel des Buchs bezieht sich auf einen Erfolg vor 85 Jahren. Als Vertreter Deutschlands nahm die Schlagballmannschaft von Teutonia an den Olympischen Spielen des Arbeitersports teil und sicherte sich den Sieg durch ein 89:57 gegen ein Team aus der Tschechoslowakei. Das mit Baseball und Cricket verwandte Schlagballspiel, in dem Teutonia 10 einst groß war, ist in Deutschland mittlerweile so gut wie ausgestorben.

Die Veranstaltung in Frankfurt war einer der Höhepunkte in der Geschichte des internationalen Arbeitersports. Insgesamt gab es überhaupt nur jeweils zwei „rote“ olympische Sommer- und Winterspiele. Zur Abgrenzung vom bürgerlichen Sport heißt es im Frankfurter Festbuch: „Die bürgerlichen Olympischen Spiele werden noch lange den Ungeist des Nationalismus an der Stirn tragen, denn die kapitalistische Welt kennt keine wahre Versöhnung.“

Als Teutonias Schlagballer um den Olympiasieg spielten, versammelten sich in Altona-Altstadt Mitglieder im Vereinslokal in der heutigen Virchowstraße – nicht etwa um einer Rundfunkübertragung beizuwohnen (die war technisch damals noch nicht möglich), sondern um auf ein Telegramm aus Frankfurt zu warten. Havekost und Stahl vergleichen das ironisch mit dem heutigen Public Viewing.

Nicht nur die Kapitel über die Olympischen Spiele von Frankfurt, sondern die Beiträge über die gesamte Zeit zwischen 1910 und 1933 gehören zu den ins­truktivsten in diesem von der Bezirksversammlung Altona finanziell unterstützten Buch. Dem organisierten Sport steht aufgrund der Coronapandemie derzeit ein Umbruch bevor. Angesichts dessen ist es anregend, sich in Zeiten zurückzuversetzen, die (auch) für den Sport reich an Umbrüchen war – und die Auswirkungen solcher Entwicklungen im Kleinen, also mit Blick auf einen Stadtteilverein, zu betrachten.

Am spannendsten in diesem Zusammenhang: die parteipolitischen Auseinandersetzungen in der Linken, die sich auch im Arbeitersport widerspiegelten. Die führten dazu, dass die KPD 1929 einen eigenen Arbeitersportverband gründete, dem sich bald auch Teutonia anschloss.

Heute spielt die erste Fußballmannschaft in der Bezirksliga (7. Liga), wesentlich bekannter ist der dank Geld aus der Ölbranche halbwegs groß gewordene Altonaer Namensvetter Teutonia 05. Der Club von der Max-Brauer-Allee könnte in Zukunft aber auch größer werden – weil zu seinem Einzugsgebiet der neue Stadtteil Neue Mitte Altona gehört. Vorstandsmitglied Tim Heicks äußert sich dazu gegenüber den Buchautoren allerdings zurückhaltend: Die „Kapazitätsauslastung“ auf der Vereinsanlage sei jetzt schon „grenzwertig“.

Folke Havekost/Volker Stahl: „Die Olympiasieger von der Allee“, Verlag Die Werkstatt, 240 S., 24,90 Euro

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