: Bunt willgelerntsein
Eines der schönsten Gedichte dieser Welt stammt von Rainer Maria Rilke. Da zieht ein Panther seine Kreise in einem viel zu engen Käfig, stark, aber müde und mit betäubtem Willen. Es ist ein traurig-schönes Gedicht, wegen einer Welt, die nah ist und doch unerreichbar, wegen Bildern dieser Welt, die es manchmal durch die Stäbe hindurchschaffen, durch die Augen der großen Raubkatze, nur um sich dann in ihrem Herzen aufzulösen. Eine melancholische Seele ist geneigt, ein wenig von sich selbst in dem Panther zu sehen, immer schon, aber vielleicht gerade jetzt, wo nicht sicher ist, ob das Leben im Draußen je wieder so leicht wird, wie es einmal war.
Gut aber, wenn man nicht der Panther sein muss. Gut, wenn man auch das Pantherchamäleon sein kann. Das hat viele Vorteile: Das Pantherchamäleon gehört zu den buntesten seiner Art, so heißt es. Es kann besonders grell leuchten – oder unsichtbar werden. Es wird nur gesehen, wenn es gesehen werden will. Es kann alles sein oder nichts. Wie alle Chamäleons muss es nicht wegrennen vor Gefahren, sondern fügt sich einfach in seine Umgebung ein. Je nach Tageszeit und Temperatur wechselt es die Farbe, das macht nur Sinn. Seine Augen kann es unabhängig voneinander bewegen, das ist besonders wichtig, wenn man zu viele Dinge gleichzeitig beobachten muss. Und nicht zuletzt sind Pantherchamäleons wie gemacht für die Einsamkeit, schließlich können sie sich selbst (fast) jede:r und alles sein, und wenn sie sich nicht mehr wohl fühlen in ihrer alten Haut oder ihr entwachsen, dann streifen sie die einfach ab.
Bloß für die Fortpflanzung brauchen sie Gesellschaft, wenn auch nur zehn Minuten. Im Berliner Aquarium gibt es seit Ende April Pantherchamäleonnachwuchs – schon zehn an der Zahl, und „es werden ständig mehr“, heißt es von offizieller Seite. Echte Corona-Chamäleonbabys, denn die Trächtigkeit dauert 31 bis 45 Tage. Und selbst, wer nicht mehr zu zählen vermag, wie lange schon nichts mehr normal ist, weiß: Da war schon längst alles anders. Die kleinen Pantherchamäleons schlüpfen übrigens nicht bunt, am Anfang ihres Lebens sind sie noch blass-bräunlich. Auch schön zu wissen, für eine melancholische Seele, dass manch eine:r Buntheit lernen kann. Lin Hierse
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