: Parkbucht voller Muscheln
Schleimig und spitzzahnig: Gerrit Frohne-Brinkmanns Installation „Backdrop“ in einer Tiefgarage in der Hamburger Hafencity ist das dritte Projekt von Hafencity-Kuratorin Ellen Blumenstein – eine kleine Intervention, die zum Stehenbleiben in der Zweckarchitektur einlädt
Von Falk Schreiber
Ein freundlicher Ort. Die Tiefgarage unter dem Luxuskino Astor Filmlounge in der Hamburger Hafencity ist mehr als ein typischer Nutzraum: helle Farben, großzügige Architektur, klare Raumaufteilung verhindern Angstraumstimmung, dank einleuchtender Bodenmarkierungen findet man sich halbwegs zurecht. Dafür ist es verhältnismäßig einsam, man merkt, dass die umliegenden Bürohäuser Corona-bedingt kaum besetzt sind und entsprechend auch ein Großteil der Parkbuchten verwaist bleibt.
Aber Vorsicht: In der zweiten Ebene sind zwei Parkbuchten besetzt. Nicht von Autos, sondern von einer Art Paravent, einer mehrere Meter großen Aluminiumskulptur, auf der mittels Airbrush eine Unterwasserwelt verewigt wurde: Krebse, Muscheln, Korallen in undefinierbarer Verstrickung. Gerrit Frohne-Brinkmann hat hier seine Installation „Backdrop“ realisiert, eine Mischung aus Kulisse und Jahrmarktsbude, ein Abstieg in die Tiefe, der seine eigene Künstlichkeit nie verleugnet: „Backdrop“ ist begehbar, Fenster, Türen und Durchgänge ermöglichen Blicke hinter die organisch wirkende Unterwasserwelt. Aber hier, hinter der Fassade, erkennt man keinen organischen Stoff, sondern glattes, scharfes Metall.
Frohne-Brinkmanns Arbeit ist keine wirklich verstörende Kunst, doch als hübsche Intervention in den Alltag geht die Installation durch: Sie ist ein Stehenbleiben in der Zweckarchitektur, ein Abstieg unter Straßenlevel und unter die Wasseroberfläche, wo eine verzauberte Welt wartet, die sich bei näherer Betrachtung dann doch als Mummenschanz entpuppt. Und damit ziemlich passgenau den postmodernen Investorentraum Hafencity abbildet.
Mit „Backdrop“ hat die Hafencity-Kuratorin Ellen Blumenstein ihr mittlerweile drittes Projekt in Hamburg verwirklicht, als Teil des langfristig angelegten Programms „Imagine the City“, das den Stadtraum als Kunstraum denken soll, nicht im Sinne einer bloß affirmativen Verschönerungsästhetik, sondern mit künstlerischem Anspruch.
Die vorangegangene „Imagine the City“-Arbeit, die Skulptur „Public Face“ von Julius von Bismarck, Benjamin Maus und Richard Wilhelmer brachte diesen Widerspruch im Herbst 2018 hintergründig auf den Punkt: Die Künstler bauten einen riesigen Smiley auf die Kibbelstegbrücke, der angeblich die Gesichter von Passant*innen lesen kann und je nach Mehrheitsstimmung zwischen Grinsen und Grollen changiert.
Auf den ersten Blick eine harmlose Spielerei, da steht eben ein Smiley in der Speicherstadt rum. Aber wenn man sich mehr Gedanken über „Public Face“ macht, dann gewinnt das Projekt plötzlich einen Zug ins Abgründige: Plötzlich wird hier etwas erzählt von Normierung persönlicher Empfindung, plötzlich geht es ganz konkret um die Überwachung des Stadtraums und das Scannen von Gesichtern (auch wenn nicht klar ist, ob die Künstler tatsächlich Zugriff auf Daten haben oder ob nicht vielleicht ein Zufallsgenerator die Skulptur steuert – wer Hamburg kennt, kann sich jedenfalls nicht vorstellen, dass plötzlich eine Mehrheit gutgelaunt durch die Stadt spaziert und der Smiley entsprechend lächelt). Und plötzlich ist auch die Hafencity mehr als ausschließlich ein netter Ort, der Urbanität als gnadenlos sympathischen Kapitalismus verkauft.
„Public Face“ steht unübersehbar im Stadtraum und schmeichelt so seine Botschaft unters Publikum. „Backdrop“ dürfte es vergleichsweise schwerer haben: Die Tiefgarage ist zunächst einmal ein abgeschlossener Ort, den niemand betritt, der kein Auto abzustellen hat. Zwar ist am Fußgängerzugang ein kleiner Hinweis auf Frohne-Brinkmanns Installation zu lesen, zwar hängt im Fahrstuhl ein Icon, das informiert, wo es Kunst gibt und wo Parkplätze, dennoch lässt sich die Arbeit übersehen. Als Metallstruktur, die auf Parkbuchten abgestellt ist und so nicht sofort ein Hinterfragen provoziert.
Trotzdem: Nach und nach sickert Kunst mittels „Imagine the City“ in den Stadtteil ein, nach und nach entfaltet sie ihre subversive Kraft. Blumenstein, die zuvor als Leiterin des KW Institute for Contemporary Art in der Berliner Auguststraße schon einmal eine stark kapitalisierte Stadtstruktur mit Charme, Ironie und kluger Subversion unterwanderte, weiß, was sie tut, selbst wenn im Sommer mit „Das Traumschiff“ und „Die Pforte“ zwei stärker an der traditionellen Kunstpräsentation orientierte Projekte anstehen.
Und obwohl der freundliche Airbrush-Charakter von „Backdrop“ zunächst kaum beunruhigen mag: Was unter der Wasseroberfläche abgeht, kann man sich gerne verspielt und lieblich vorstellen. Aber in Wahrheit ist es dort doch ziemlich schleimig, dunkel und spitzzahnig. Kein freundlicher Ort.
Gerrit Frohne-Brinkmann: „Backdrop“: bis 11. April 2021, Hamburg, Tiefgarage Am Sandtorkai/Singapurstraße 2 (Einfahrt). Parkdeck P-2 Madrid; Infos: imaginethecity.de
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