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Ein wenig Wien an der Elbe

Das prominente Wappen der Wochenzeitung „Die Zeit“, Fensterverglasungen für die Handwerkskammer und die Kunsthochschule in Hamburg: Entworfen hat sie Carl Otto Czeschka. Ein neues Buch stellt den Wiener Designer und Kunstpädagogen vor

Von Bettina Maria Brosowsky

Wer zumindest ab und an die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit zur Hand nimmt, mag sich über das Wappen in der Kopfzeile wundern, das zwischen den beiden Worten prangt. Es ist nämlich nicht, wie zu erwarten wäre, eine Referenz an das Große Staatswappen der Freien und Hansestadt Hamburg. Nein, es ist das der Freien Hansestadt Bremen, unschwer an dem charakteristischen „Bremer Schlüssel“ zu erkennen sowie an der Markgrafenkrone über dem Schild, der von zwei gegenständigen, rückwärts schauenden Löwen in ihren Vorderpranken gehalten wird.

Dieses Löwendoppel allerdings, eine unverblümte Anleihe an fürstliche Wappen des 16. Jahrhunderts, findet sich in den Hoheitszeichen beider Hansestädte. Mit diesem denkwürdigen Signet sowie dem honorigen, durch die weiße „Seele“ der einzelnen Majuskeln wie plastisch erscheinenden Schriftzug tritt die Zeitung seit ihrer Gründung, 1946 in der britischen Besatzungszone, an – gleich mehrfach der Verweis auf ein Selbstverständnis in der Tradition des großen Londoner Vorbildes, The Times.

Die Titelgestaltung dieses deutschsprachigen „Leitmediums“ ist das wohl öffentlichkeitswirksamste Werk des aus Wien gebürtigen Entwerfers und Kunstpädagogen Carl Otto Czeschka (1878–1960), der 1907 von der Donau an die Elbe wechselte. Die im gleichen Jahr gegründete Hamburgische Wissenschaftliche Gesellschaft widmet ihm nun ihren ersten Band der projektierten Reihe „Künstler in Hamburg“.

Kühle Städterivalität

Darin wird auch die Geschichte des Zeitungskopfes rekapituliert, der jedoch nicht einer hansestädtisch übergreifenden Nachkriegsharmonie entsprang, sondern, im Gegenteil, kühler Städterivalität. Denn die ersten zwölf Zeitungsausgaben erschienen tatsächlich mit dem Hamburger Wappen – dem Burgtor mit drei Türmen –, dessen Nutzung der Hamburger Senat allerdings untersagte, auch eine Abwandlung mit geöffnetem Tor während weiterer sechs Ausgaben fand keine Gnade.

Bremens Bürgermeister Wilhelm Kaisen hingegen zeigte sich demonstrativ aufgeschlossen und überließ das Bremer Wappen der publizistisch-kommerziellen Nutzung.

Vielleicht war und ist solch Reserviertheit ja exemplarisch für eine Hamburger Kulturpolitik, die sich auch in den eigenen Institutionen wie Universität oder Kunsthochschule selten als Speerspitze wagemutiger Modernität präsentiert. Eine der raren Ausnahmen mag die Berufung Carl Otto Czeschkas an die Hamburger Kunstgewerbeschule gewesen sein.

Diese Einrichtung, mit noch unklarem Profil im 1877 eröffneten Museum für Kunst und Industrie – heute Museum für Kunst und Gewerbe – am Steintorplatz angesiedelt, sollte sich, ganz hanseatisch pragmatisch, den angewandten, nicht den freien Künsten widmen. Der Wiener Czeschka garantierte als Lehrender den richtigen Impuls, war doch die Donaumetropole um 1900 das europäische Ideen­laboratorium, in dem sich aus gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Dissonanzen ein geistiger Aufbruch in die Moderne amalgamierte, der Kunst, Kultur wie Wissenschaften erfasste.

Prominente Fenster

Der erst 29-jährige Czeschka galt als prägender Entwerfer der Wiener Werkstätte, 1903 in diesem schöpferischen Klima gegründet. Nach dem Vorbild der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung war sie angetreten, seelenlosen Industrieerzeugnissen wie wucherndem Jugendstil gleichermaßen die ästhetische Erneuerung der Wohn- und Alltagskultur in einer Synthese aus feiner Kunst mit edlem Handwerk entgegen zu setzen. Der Idee des Gesamtkunstwerks verpflichtet, umfasste ihr Impetus Architektur und Interieur, Produktgestaltung und Grafik bis hin zu Mode und Schmuck.

Czeschka, in einfachen, finanziell engen Verhältnissen als Nachfahre tschechischer k.u.k.-Bürger in Wien aufgewachsen, ließ sich, die renommierte Anstellung in Hamburg sehr schätzend, 1908 bereitwillig „naturalisieren“. Seine Arbeit für die „WW“ schränkte die neue Staatsbürgerschaft aber nicht ein. 1911 zeigte das Hamburger Industriemuseum seine Arbeiten, 1909 schon wurde er zum Professor ernannt, er erhielt zunehmend Aufträge von betuchten Hanseaten und ihren Wirtschaftsunternehmen.

Ein Beispiel ist die großbürgerliche Villa des Holzimporteurs Sigmund Gildemeister im Elbvorort Hochkamp, für die Czeschka das üppige Ausstattungsprogramm mit Wandtäfelungen, farbigen Stuckaturen, Gobelins und Beleuchtungskörpern übernahm.

Prominente öffentliche Aufträge in Hamburg waren farbige Fensterverglasungen, für die Gnadenkirche in St. Pauli, die Eingangshalle der 1913 errichteten Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld oder den großen Saal des Gewerbehauses, heute Handwerkskammer.

Politisch problematisch

Den Bau am Lerchenfeld und die Handelskammer verantwortete der 1908 zum Baudirektor ernannte Fritz Schumacher, der Hamburger Künstler für die Ausgestaltung heranzog. Czeschkas 15 Handwerkerpaare und ihre Innungsinsignien nahmen im Zweiten Weltkrieg Schaden, ebenso sein Kunstschulatelier am Lerchenfeld. Studenten bargen Arbeiten und Entwürfe, auch zu den Gewerbehausfenstern, die Grundlage für ihre Rekonstruktion ab 2012.

Problematischer Teil im Schaffen Czeschkas sind Fakultätssiegel und Dekanatsketten der 1919 eröffneten Hamburger Universität. Die Aufträge zogen sich ab 1920 über lange Jahre hin, für die 1934 gegründete „Politische Fachgemeinschaft“ fertigte Czeschka auch den Prototypen einer Medaille mit Hakenkreuz.

Czeschkas Haltung während der NS-Zeit bleibt wohl nicht nur im Buch im Vagen. Briefe seines Wiener Kollegen und Mitinitiators der 1932 in Insolvenz gegangenen Wiener Werkstätte, Josef Hoffmann, hingegen gaben dem Zukunftsglauben Ausdruck, dass mit dem „Anschluss“ Österreichs „all unsere Lebensgeister neu erweckt“ werden. Alltagskultur aber ist nie unpolitisch.

Heinz Spielmann: Carl Otto Czeschka. Wallstein Verlag, Göttingen 2019, 468 S., 150 teils farbige Abb., 29,90 Euro

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