: Vom Feld in die Hauswand
Stroh wird nicht nur als Einstreu für Tiere oder zum Decken von Reetdächern benutzt: Bauexperten loben seine Eigenschaften als umweltfreundliches Dämmmaterial
Von Joachim Göres
Stroh: Darunter versteht man trockene Halme von gedroschenem Getreide. Und davon gibt es mehr als genug auf den Feldern. Verwendet wird es nicht nur als Einstreu für Tiere, sondern auch als Brennmaterial und als Rohstoff für synthetische Biokraftstoffe, für das Eindecken von Dächern – und als Baumaterial.
Laut Fachverband Strohballenbau Deutschland (Fasba) könnte etwa ein Fünftel des bei der jährlichen Getreideernte anfallenden Strohs dem landwirtschaftlichen Kreislauf entnommen und zum Bauen eingesetzt werden. Das würde für die Dämmung von bis zu 350.000 Einfamilienhäusern reichen. Dafür wird das Stroh – als geeignet gelten vor allem Weizen- und Roggenstroh – zu stabilen Baustrohballen gepresst.
Diese Ballen können zur Dämmung von Wand-, Dach und Fußbodenkonstruktionen verwendet werden. Durch Verkleidungen werden sie vor Feuchtigkeit geschützt, ein Lehmputz sorgt für den nötigen Feuerwiderstand. Bei fachgerechter Herstellung sind die Ballen vor Schädlings- und Schimmelbefall geschützt und brauchen keine chemische Behandlung.Die wärmedämmenden Eigenschaften der Baustrohballen hängen davon ab, ob man sie stehend oder liegend verbaut und wie die Halme ausgerichtet sind – die konventionellen Dämmstoffe Polystyrol und Steinwolle erreichen bessere Dämmwerte.
Die Bildungswerkstatt für nachhaltige Entwicklung in Verden, die eine Weiterbildung zur Fachkraft Strohballenbau anbietet, macht aber eine andere Rechnung auf: „Ein aus Beton gebautes Gebäude, das mit Polystyrol gedämmt wird, kann zwar eine gute Dämmung erreichen, braucht dagegen aber bis zu 80 Jahre, um seinen Primär-Energieeinsatz zu amortisieren.“ Sprich: Die Produktion der konventionellen Dämmung ist enorm energieaufwendig und somit umweltbelastend – im Gegensatz zu Stroh als nachwachsendem Rohstoff. Zudem speichert Stroh während seines Wachstums das klimaschädliche Kohlendioxid, während bei der Herstellung konventioneller Dämmstoffe CO² freigesetzt wird.
Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) aus dem mecklenburgischen Gülzow-Prüzen hat im vergangenen Jahr die „Marktübersicht Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen“ veröffentlicht. Darin wird Europas größtes Stroh-Sanierungsprojekt aus Schwerin vorgestellt: 2017 wurde das ehemalige Sudhaus einer Brauerei zu mehreren Wohnhäusern umgebaut und die Wände mit einer außen liegenden Dämmschicht aus zertifiziertem Baustroh versehen.
Als „Strohbau-Hochburg“ gilt das ökologische Modelldorf Sieben Linden in Beetzendorf an der Grenze von Sachsen-Anhalt zu Niedersachsen, wo neun größere strohgedämmte Wohnbauten stehen. Nicht weit davon entfernt findet man im Wendland in Lüchow und in Gartow weitere Gebäude mit Strohballen als Dämmmaterial.
Strohballen können auch zur tragenden Konstruktion eingesetzt werden, allerdings nur mit baurechtlicher Einzelgenehmigung. Als Beispiel dient dem Fasba ein Wohnhaus in Weimar, bei dem Strohgroßballen die lasttragenden Wände bilden. Geschützt werden sie außen von einem Kalkputz und innen von einem Lehmputz. Die FNR stellt in der Broschüre „Strohgedämmte Gebäude“ fest: „Beim lasttragenden Strohballenbau fehlen immer noch anerkannte Grundlagen. Hier gibt es nach wie vor Forschungs- und Entwicklungsbedarf mit allerdings ungewissen Erfolgsaussichten.“
Im niedersächsischen Verden steht seit 2015 das mit fünf Stockwerken höchste Strohballenhaus in Deutschland. Der Architekt Thomas Isselhard hat das Gebäude entworfen: „Das ist eine sehr solide Konstruktion, die sich bewährt hat. Aber man muss ein Auge darauf haben, denn niemand kann sagen, wie das Ganze im Dauerbetrieb läuft“, sagt er. Er schwärmt von den niedrigen Betriebskosten und hofft auf eine CO²-Steuer: „Bislang sind Strohballenhäuser durch die dickere Putzstärke teurer als Gebäude mit einer herkömmlichen Dämmung. Wenn aber die bei der Polystyrol-Produktion entstehende Umweltbelastung und die Entsorgungskosten berücksichtigt würden, wäre das gut recycelbare Stroh wirtschaftlicher.“
Isselhard hat bereits Delegationen aus China und Indien durch das Gebäude und die dort präsentierte Ausstellung zum nachhaltigen Bauen geführt – in diesen Ländern werde Stroh teilweise verbrannt und man sei sehr an einer sinnvollen Nutzung interessiert, sagt er.
Nach Schätzung von FNR-Bauberater René Görnhardt liegt in Deutschland der Anteil der nachwachsenden Rohstoffe unter den Dämmmaterialien bei etwa zehn Prozent. Im Vergleich mit anderen Naturdämmstoffen wie Flachs, Hanf, Kork, Schafwolle und Holzfasern sei Stroh noch relativ selten verbreitet. „Ein Grund ist der hohe handwerkliche Aufwand bei der Strohverarbeitung. Diese Kosten können gesenkt werden, wenn man selber mit anfasst“, sagt Görnhardt und fügt hinzu: „Das Interesse an Stroh als Baumaterial wächst – gerade auf dem Lande, wo Landwirte oft nicht wissen, was sie damit machen sollen.“
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