„Grund zum Mord“

Gewerkschafter Diógenes Orjuela über Gewalt an Lehrern – und das marode Bildungssystem

Foto: privat

Diógenes

Orjuela

62, ist Vorsitzender der Central Unitaria de Trabajadores (CUT), des größten gewerkschaftlichen Dachverbands Kolumbiens. Zuvor stand er mehrere Jahre an der Spitze der Lehrergewerkschaft in der Provinz Meta.

Interview Knut Henkel

taz: Herr Orjuela, seit Monaten ist Kolumbien von Bildungsprotesten geprägt. Warum?

Diógenes Orjuela: Die Regierung von Iván Duque rühmt sich derzeit, dem Bildungsetat im Haushalt 2020 Priorität eingeräumt zu haben. Was sie natürlich nicht sagt, ist, dass sie damit lediglich auf die massiven Proteste von Studenten, Lehrern und Dozenten reagiert hat. Bei den Bildungsausgaben der OECD-Länder steht Kolumbien bisher am Ende des Rankings. Zudem gibt es ein strukturelles Problem: Die privaten Bildungseinrichtungen haben einen enormen Aufschwung genommen. Allen voran die privaten Eliteuniversitäten sind sind zu einem exzellenten Geschäft geworden. Die Proteste der Studenten thematisieren das auch: Die Unterfinanzierung der öffentlichen Universitäten habe die Grundlage für den Aufschwung der Privaten geliefert.

Haben die Proteste den Trend zu mehr privaten Bildungseinrichtungen gedrosselt?

Denke ich schon. Die Proteste haben dazu geführt, dass die öffentlichen Universitäten zusätzliche Mittel, unter anderem zur Schuldentilgung, erhalten haben. Das ist positiv. Nun müssen wir abwarten, ob die Regierung ihre Verpflichtungen auch einhält. In Kolumbien wird viel unterschrieben, aber wenig gehalten. Nehmen Sie als Beispiel das Friedensabkommen mit der Farc.

Seit der Unterzeichnung des Abkommens Ende 2016 ist die Zahl der Morde an Aktivisten stark gestiegen, auch Lehrer wurden getötet – 14 allein im Jahr 2019. Warum stehen auch Pädagogen auf der Abschussliste?

Das Ende der Gewalt ist auch eine Kernforderung des nationalen Streikkomitees, das gegen die neoliberalen Wirtschaftsreformen der Regierung protestiert und für die Implementierung des Friedensabkommens mit der Farc eintritt. Das fordert auch die Bildungsgewerkschaft Fecode, die rund 300.000 Lehrer und Unidozenten vertritt. In Kolumbien ist dieses Engagement ein Grund, Menschen zu ermorden und Morddrohungen aus dem paramilitärischen Spektrum, oft von den Aguilas Negras, hat die gesamte Führungsspitze der Fecode erhalten.

Wieso schützt der Staat die bedrohte Gewerkschafter nicht besser?

Die Unidad Nacional de Protección (UNP), die im Auftrag des Staates Personenschutz übernimmt, hat massive organisatorische Probleme, und es sind nur einige prominente Vertreter wie ich oder der Vorsitzende der Fecode, die geschützt werden. Viele bedrohte Gewerkschafter erhalten keinen Schutz und ich bin der Meinung, dass die UNP sehr ineffizient ist.