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Das deutsche Versuchslabor

Ab dem heutigen Montag ist ein gut 20-köpfiges Team um den Virologen Professor Hendrik Streeck von der Universitätsklinik Bonn im Landkreis Heinsberg unterwegs. Die Wissenschaftler wollen den Infektionsverlauf möglichst genau nachzeichnen: Warum hat sich wer wo wodurch angesteckt, unter welchen Bedingungen, warum manche auf der ausgelassenen Kappensitzung mit reichlich Enge nicht, wie hoch ist die Dunkelziffer Infizierter?

Dazu kommen Detailinterviews mit Infizierten, in denen nach Vorerkrankungen und Kausalketten wie Reisen, Begegnungen, Nahrung, sogar Tierkontakte gefragt wird. In mindestens tausend Haushalten finden epidemiologische Untersuchungen samt Luftproben statt, um herauszufinden, wie sich das Virus über Luft, Oberflächen, Bedarfsgegenstände, Lebensmittel und Wasser übertragen kann. Aus dem gesammelten Datenkonvolut und der Interpretation von Zusammenhängen erhoffen sich die Forscher ein genaues Bild, wie sich das Coronavirus ausbreiten kann.

Erste Ergebnisse sollen schon nächste Woche vorliegen, der Abschlussbericht in einem Monat.

Der Kreis Heinsberg ist bei der Virusausbreitung dem Restland etwa zweieinhalb Wochen voraus. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagt: „Nirgendwo in der Welt kann man die genauen Ausbreitungswege des Virus so exemplarisch testen wie im Kreis Heinsberg.“ Dafür gibt es durchaus gute Argumente: Hier begann alles bei null. Im österreichischen Ischgl zum Beispiel explodierte die Zahl besonders schnell, aber die infizierten Ski­touris­tInnen verteilten sich umgehend – nach Island, Schweden, Hamburg, in den westfälischen Kreis Borken und anderswohin. Solche Streuungen machen die Verlaufsanalyse ungleich schwerer.

Projektleiter Hendrik Streeck ist sich sicher: „Heinsberg stellt eine ideale Situation dar, um Antworten für den Rest von Deutschland zu finden.“ Antworten, welche Risikofaktoren besonders evident sind, und vor allem, welche Schutzmaßnahmen wirkungsvoller als andere. Das kann die Frage klären helfen, welche der massiven Einschränkungen in einigen Wochen im ganzen Land früher gelockert werden können als andere. Heinsberg, eben noch verhöhnt und beschimpft, wird damit zum Ratgeber für alle. Landrat Stephan Pusch sagt dazu: „Wir sind jetzt das deutsche Versuchslabor.“

Bernd Müllender

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