: Braune Brühe Schmelzwasser
„2050 – Nature Morte, Kunst zum Klimawandel“ eine Gruppenausstellung im und um den Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz lässt sich nach Vereinbarung besichtigen
Von Andreas Schlaegel
Eigentlich sollte man ja jetzt so viel wie möglich zu Hause bleiben, Filme gucken und die ambitionierten Online-Angebote für das kunstinteressierte Publikum wahrnehmen. Aber welche Kamele da von Galerien und Ausstellungsräumen nun durch das Nadelöhr des virtuellen Erlebnisses getrieben werden sollen, es wirkt nicht immer überzeugend, das sind schon Kamelherden.
Einige wenige Institutionen allerdings erlauben, auch wenn das heute am Rande des Illegalen schrammt, den privaten Besuch nach Voranmeldung, wie der Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz. Dort hat man dann das Glück, die aktuelle von Raimar Stange kuratierte Ausstellung mit dem Titel „2050 – Nature Morte, Kunst zum Klimawandel“ allein und in kontemplativer Ruhe zu genießen.
In Anlehnung an die französische Bezeichnung für das klassische Sujet des Stilllebens suggeriert der Ausstellungstitel auf plakative Weise, dass zum Jahr 2050, für das die Bundesregierung Klimaneutralität angepeilt hat, für die Natur bereits alles zu spät sei.
Die beteiligten elf KünstlerInnen haben dafür selbstbewusste wie plakative Werke beigetragen, eines sogar im Wortsinn. Um es zu sehen, muss man nicht einmal die Ausstellungsräume betreten, es hängt auf einer einzelnen Plakatwand an der Ecke Karl-Liebknecht-Straße und Torstraße. Oliver Ressler hat hier vollflächig ein Foto auseinanderdriftender Eisschollen angebracht, in die eine einfache Gleichung eingesetzt wurde: Jedes Flugticket von New York nach London und zurück kostet die Arktis 3 Quadratmeter Eis.
Das Plakat ist Teil von Resslers längerfristig angelegtem Projekt „Barricading the Ice Sheets“, das die Frage stellt, wie die Eisplatten an den Polen geschützt werden können: ein Forschungsvorhaben über die politischen Verflechtungen von Kunst und Klima-Aktivismus. Gegenüber dem Berliner Ableger des Soho-House, einer Club-Hotelkette, die sich gerne als Plattform für internationale Kreativ-Jetsetter stilisiert, entfaltet das Plakat seine besondere Dringlichkeit.
Bereits im Eingangsbereich des L40 breitet sich Weltschmelz (2019/2020) aus, zumindest als Malerei Installation von Anne Meyer. Eingefügt in eine Matrix aus neonfarbenen Klebebändern hat sie vier Ölgemälde von karstigen Landschaften mit schmelzenden Gletschern und kalauernden Parolen („Weltuntergang – wir arbeiten dran“) versehen. Auf Plakattafeln vor einem Bergpanorama steht in Anspielung auf Martin Kippenbergers bekannter Bildtitel „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“: „Ich kann beim schlechtesten Willen überall welche erkennen.“ Dahinter bilden die letzten Reste Schnee Swastika-ähnliche Muster, in denen sich die ideologische Vereinnahmung der Berge durch verquaste, rechte Heimatromantik in die Landschaft einschreibt. Das Schmelzwasser fließt als braune Brühe ab.
Vergleichbar hintergründig sind Stefanie von Schroeters „Duck Paintings“ (2018). Auf die Bilder applizierte Lockenten aus Kunststoff schwimmen zwischen gestischen Farbschlieren und in die Leinwand gebrannten Löchern hindurch, als navigierten sie zwischen Welten, die nicht zusammenkommen.
In den hinteren Ausstellungsräumen breitet sich ein wahres Eismeer in der Installation von Almut Linde aus, eine Ansammlung von elf mobilen Klimageräten, Typ Eisberg, die bei Veranstaltungen zur temporären Kühlung eingesetzt werden. Nur trägt eben ihr Energieverbrauch eben auch langfristig zur Klimaerwärmung bei. In einer Vitrine daneben liegt ein viel beworbener Flaçon mit Olaf Nicolais „Multiple Smell“ (1999), einem synthetischen „Parfüm für Bäume“, das vor über 20 Jahren auf der Bundesgartenschau zum großflächigen Einsatz kam.
Einen ähnlich bitter-absurden Humor versprüht die wohl aufwändigste Arbeit der Ausstellung, eine Installation von Fabian Knecht mit dem unspektakulären Titel „Grundstück“ (2020). Vom Balkon aus hat man einen perfekten Blick auf die von grauen Innenhofwänden eingerahmte, auf dem begrünten Dach eines Restaurants wie auf dem Präsentierteller aufgebaute, pittoreske Hütte aus Holz und Wellblech, mit Klappstühlen und Wäscheleine. Dieser Kulissenbau einer improvisierten Heimstatt in der tiefen Schlucht im Innern des Bundschuh-Gebäudes, wirkt im extremen Kontrast wie ein Zukunftsszenario und ein Menetekel. Wenn alle Auswege verbaut sind, kann man nur noch zuhause bleiben.
Bis voraussichtlich 30. Mai, Kunstverein am Rosa–Luxemburg–Platz; Linienstraße 40, nach Vereinbarung: prinz@rosa-luxemburg-platz.net
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