Was erlaubt ist und was nicht

Für die Pflegeheime wird die Situation schwierig. Was bedeuten mögliche Engpässe für die Bewohner und das Personal? Und was passiert, wenn verschiedene Rechtsansprüche miteinander in Konflikt geraten?

Von Alina Götz

Normalerweise haben Menschen mit dem Pflegegrad 2 oder höher einen Anspruch auf Pflegeleistungen. Auch im Kata­strophenfall, wie er jetzt in Bayern ausgerufen wurde, ändert sich an diesem Anspruch nichts, sagt Ronald Richter, Anwalt und Professor für Sozialrecht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. „Wer pflegebedürftig ist, bleibt das und hofft natürlich, dass das Heimpersonal oder der Pflegedienst weiterhin fit und gesund ist.“

Wie die Krankenhäuser müssten nun auch Pflegeheime und -dienste sortieren, welche Fälle eher warten können, wenn Kapazitäten knapp werden. Eine Auswirkung könnte sein, dass Menschen, die neu ins Pflegesystem aufgenommen werden wollen, es nun noch schwerer haben. „Bereits vor der Krise haben uns Angehörige berichtet, dass sie aufgrund der Personalknappheit 20 bis 30 Pflegedienste abtelefonieren mussten, um die Versorgung der Angehörigen sicherzustellen.“

Bisher gebe es keine Regelungen dafür, welche Fälle Vorrang haben, wenn in einer Notlage wirklich nicht mehr alle betreut werden können, so Richter. „Die Pflegekassen haben den Auftrag, die Pflege sicherzustellen und werden nun vermutlich noch stärker auf Angehörige zurückgreifen.“ Wenn es zu Engpässen kommt, sei letztlich das Krankenhaus in der Pflicht, Personen aufzunehmen – „zur Not auf den Gängen oder in Messehallen“.

Ein weiteres Problem, so Richter, sei die unterschiedliche Umsetzung der Anweisungen des Bundes in den Bundesländern. Das verunsichere die Menschen. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise sollte aufgrund eines Corona-Falls ein ganzer Pflegedienst in Quarantäne gehen. „Wir haben dem betroffenen Pflegedienst geraten, beim Gesundheitsamt anzurufen, um zu fragen, wie man sich das vorstellen soll, Hunderte Menschen nicht mehr zu versorgen oder ins Krankenhaus zu bringen“, sagt Richter. In anderen Bundesländern werde nur die erkrankte Person aus dem Dienst genommen, die anderen würden unter angemessenen Hygienebedingungen weitermachen.

Auch die Sozialkontakte sind für Menschen in Heimen nun stark eingeschränkt. „Soziale Kontakte gehören mit zum Recht auf Selbstbestimmung“, sagt Richter und verweist auf Artikel Zwei des Grundgesetzes. Dort wird aber auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit festgeschrieben. „Einzelne und auch die Gemeinschaft müssen daher Einschränkungen zum Schutz Einzelner hinnehmen.“ Müssen die beiden Rechte wie jetzt gegeneinander abgewogen werden, sei laut Bundesverfassungsgericht das Prinzip der praktischen Konkordanz anzuwenden, erklärt Richter. „Keines der Rechte darf demnach ganz und gar ausgeschlossen werden.“ Anders gesagt: Ein Kompromiss muss her.

„Das hat die allgemeine Verfügung in Schleswig-Holstein ganz vorbildlich gelöst“, findet Richter. Dort habe man entschieden, dass Patient:innen pro Tag einmal Besuch empfangen dürfen. Der Zugang von Therapeut:innen müsse darüber hinaus stets gewährleistet sein, ebenso der zu Kinderpflege- und Palliativstationen.

Probleme für das Personal

Doch die Corona-Krise erwischt auch das Pflegepersonal. Ein Teil sei von den Schließungen der Tagespflegeeinrichtungen betroffen, sagt Richters Kölner Partner Thomas Schleipen, Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht. „Das ist eine kleine Katastrophe.“ Eine Möglichkeit sei, die Arbeitnehmer:innen – allerdings nur in Absprache mit ihnen – in Kurzarbeit zu schicken.

Auch Versetzungen, beispielsweise aus der geschlossenen Tagespflegeeinrichtung in den ambulanten Betriebsteil eines Dienstes, seien möglich. „Gerade für Ältere ist diese Art der Patientenversorgung unter Zeitdruck aber sehr anstrengend“, so Schleipen. Dennoch komme es gerade jetzt vor, dass Arbeitnehmer:innen und Betriebsrat mit einer Versetzung einverstanden sind – „es gibt sonst kaum eine Möglichkeit, den Arbeitsplatz zu erhalten“.

Auch Arbeitsschutzmaßnahmen stehen auf dem Spiel: „Ein Arbeitgeber hat mich angerufen“, berichtet Schleipen, „weil keine Schutzausrüstung mehr da sei.“ Nun könne er seiner Fürsorgepflicht nicht mehr so nachkommen, wie es die Arbeitsschutzgesetze fordern. Rechtlich ein Graubereich, so der Anwalt: „Wenn wirklich eine Gefahr besteht, darf die Arbeit verweigert werden.“ Allein die Angst vor einer Infektion mit dem Virus gelte jedoch nicht als Gefahr.

Wenn die Belastung zunimmt, können Pfleger:innen vorübergehend zu Mehrarbeit verpflichtet werden. Für private Einrichtungen greife dabei das Arbeitszeitgesetz, das eine maximale Wochenarbeitszeit von 60 Stunden, also je zehn an sechs Tagen, vorgibt. „In den Tarifverträgen sind zwar oft flexiblere Regelungen wie Zwölf-Stunden-Schichten, dafür aber auch Ausgleichstage oder -zahlungen enthalten“, so Schleipen.

Problematisch sei, dass viele Arbeitnehmer:innen ohne Kinder kurz vor den Osterferien in den Urlaub gegangen seien – und die mit Kindern seit einer Woche zuhause bleiben. „Nur in absoluten Notfällen kann der Arbeitgeber Leute aus dem Urlaub zurückholen“, sagt Schleipen, „aber dann muss er die gesamten entstehenden Kosten tragen.“ Ob das Corona-Virus so ein Notfall ist, sei umstritten.