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debatteDie kalte Panik

Absagen, Flugsperren, Produktionsstopps: Viele sind offenbar erleichtert, dass es doch möglich scheint, unseren ruinösen Alltag zu ändern

Kilian Jörg arbeitet an den Schnittstellen zwischen Philosophie und Kunst und lebt zwischen Wien, Berlin und Brüssel.

I want you to panic“ lautete die Botschaft Greta Thunbergs angesichts des drohenden Klimakollaps vor gut einem Jahr. Seitdem hat sich viel getan: Das Thema ist im Mainstream angekommen, Regierungen haben erste – bei Weitem nicht ausreichende – ökologische Reformen beschlossen, man spricht von einer neuen Politisierung der Jugend. Doch die Panik ist ausgeblieben – zu schleichend ist die Katastrophe planetaren Ausmaßes, die zwar aus geologischer und evolutionsbiologischer Perspektive viel zu schnell passiert, aus menschlicher allerdings zu langsam, um wirklich zu drastischem, gar panischem Handeln zu führen.

Covid-19 löst ganz andere Reaktionen aus: In schier unmöglich gedachter Geschwindigkeit werden Reiseverbote erlassen, Grenzen, Universitäten, Schulen geschlossen, das öffentliche Leben beschnitten und die internationalen Produktionsketten unterbrochen. Flüge werden gestrichen, Fabriken heruntergefahren: Der globale CO2-Ausstoß ist in den letzten Wochen stark zurückgegangen – und das aufgrund einer Panik, die eigentlich nicht auf dem ökologischen Problem fußt. Abseits von virologischen Kalkülen und gesundheitspolitischen Rationalitäten sollte auch die Frage gestellt werden, inwieweit sich hier nicht auch gerade ein Bedürfnis nach Panik in unseren ökologisch katastrophalen Lebensweisen äußert.

Gleich vorweg: Die Bedrohung des neuartigen Sars-CoV-2-Virus ist real, dies kann niemand abstreiten. Mit einer Inkubationszeit von zwei Wochen bei gleichzeitig hoher Infektionsrate ist der neuartige Coronavirenstamm ein virologischer Albtraum, dessen Ausbreitung kaum zu stoppen ist. Tatsächlich scheint man sich aufseiten der Behörden mittlerweile darauf eingestellt zu haben, dass wir am Anfang einer globalen Pandemie stehen. Aktuelle Schätzungen besagen, dass bis zu 70 Prozent der Weltbevölkerung letzten Endes infiziert sein werden.

Dennoch ist Panik gegenüber dem neuartigen Virus – wie es sich in Hamsterkäufen oder Liveticker-Updates zur Zahl der Infizierten äußert – fehl am Platz. Laut dem Infektiologen Pietro Vernazza ist die Mortalitätsrate bei kühler Berücksichtigung der hohen Dunkelziffer der Infizierten ohne Ausbruch von Symptomen wahrscheinlich weit unter den derzeit veranschlagten ein Prozent. (Zur Erinnerung: Vor gut einer Woche hieß es noch zwei Prozent.) Die Bevölkerung wird sich höchstwahrscheinlich langsam immunisieren und auch Impfstoffe werden vermutlich schon in der nächsten Zeit an Proband_innen getestet. Es wird zu einer tragischen Anzahl an Toten kommen, aber ob diese die Zahl von Opfern häuslicher Gewalt, ökologischer Schäden, Verkehrstoter oder schlichtweg anderer Viren weltweit in selber Zeit übersteigt, bleibt mehr als fraglich.

Wie konnte es also zu dieser vielfach panischen internationalen Reaktion angesichts des Coronavirus kommen? Die Philosophin Isabelle Stengers bezeichnet die emotionale Grundhaltung unserer sich der ökologischen Katastrophe bewusst werdenden Gesellschaften als „kalte Panik“. Wir, die in Flugzeugen fliegen, reichen Konsumgesellschaften angehören und von globalen ökonomischen Ungleichheiten profitieren, wissen um unsere Komplizenschaft an der Klimakatastrophe. Es ist die Normalität des zu großen ökologischen Fußabdrucks, die die Katastrophe ist. Doch vor dem, was normal ist, kann man schwer in Panik geraten.

Symptomatisch für den Zustand der „kalten Panik“ ist, dass es eine große Sehnsucht und mediale Nachfrage nach Katastrophen gibt – doch die eigentlich diesen fragilen Zustand bewirkende Katastrophe ist zu diffus und komplex, um als Objekt der Panik herzuhalten. In diesem hypernervösen Zustand stürzen wir uns gierig auf alle möglichen anderen potenziellen Panikquellen: Neben den einfach zu aktivierenden rassistischen Motiven einer sogenannten „Flüchtlingskrise“ eignet sich das Virus besonders gut – und spielt teilweise sogar dieselben Register eines „Eindringlings von außen“, gegen den man sich abschotten muss.

Warum aber ist dann die Panik gegenüber Corona höher, als es bei SARS oder der Schweinegrippe der Fall war? Neben dem virologisch anderen Charakter des Sars-CoV-2-Virus mag ein Erklärungselement auch der Panik-Slogan Thunbergs sein: Das Bewusstsein für den katastrophalen Zustand unseres Planeten ist mit der neuen Umweltbewegung stark gestiegen – und mit ihr die „kalte Panik“. Könnte es sein, dass die heftigen Reaktionen auf die Corona-Epidemie auch dem Bedürfnis entspringen, die katastrophale Normalität zu suspendieren? Manchmal scheint man fast eine Art romantische Erleichterung gegenüber den Absagen, Flugsperren und Produktionsstopps zu verspüren. Es scheint plötzlich doch möglich, unser katastrophales business as usual zu ändern. Wenn schon nicht durch Fridays for Future, so halt mit Covid-19.

Es äußert sich gerade auch ein Bedürfnis nach Panik in unseren ökologisch katastrophalen Lebensweisen

Doch muss man aufpassen, die beiden Probleme nicht zu vermischen. Ein Virus bedarf anderer Maßnahmen als die Klimakatastrophe. Spielt die „kalte Panik“ unserer ökologisch prekären Situation zu sehr in die gegenwärtige Corona-Pandemie, laufen wir Gefahr, in ein dystopisches Szenario zu rutschen: Dann werden alle Kulturveranstaltungen und Lehrinstitutionen geschlossen, das öffentliche Leben wird beschnitten und die neuen, alten Führergestalten der Politik inszenieren sich als messianische Beschützer, während andere drängende Probleme wie die Lage von Geflüchteten in Griechenland oder eben die Notwendigkeit eines ökologischen Wandels unter den Tisch fallen.

Die moderne Gesellschaft wird mit Covid-19 aller Wahrscheinlichkeit nach einen Umgang finden. In puncto ökologische Katastrophe steuern wir aber weiterhin ungebremst auf den Kollaps zu. Hierbei können wir sogar von Corona lernen: Es ist möglich, Flüge zu verbieten, Produktionen runterzufahren und andere drastische Verbote auszusprechen. Doch Panik an falschen Orten wird uns nicht helfen.

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