piwik no script img

Das letzte Rennen

Maximilian Schachmann gewinnt die Radfernfahrt Paris–Nizza und legt nun eine virusbedingte Pause ein, die auch alle seine Sportsfreunde betrifft

Rares Szenario: Das Peloton, angeführt von Maximilian Schachmann, radelt durch Frankreich Foto: dpa

Aus Nizza Tom Mustroph

Maximilian Schachmann gewinnt die Radfernfahrt Paris–Nizza und holt sich damit den bislang größten Sieg seiner Karriere. Viel Feierpublikum hatte er aber nicht. Auf der Sieger­tribüne hielten die Offiziellen Abstand. Keine Umarmung, kein Küsschen, nicht einmal das traditionelle Ritual des Trikotüberstreifens. Schachmann zog es abseits des Podiums selbst an.

Und auch das Publikum blieb aus. Nur ein paar Kinder fuhren auf dem schneebedeckten Hang des Skiorts Valdeblore La Colmiane hinunter. Der Skilift rotierte, aber die meisten Sitze waren leer. Kaum jemand kam. „Das Gebiet war weitläufig abgesperrt. Niemand ohne Akkreditierung durfte in den Zielbereich“, erzählte traurig eine Mitarbeiterin des örtlichen Tourismusbüros der taz. Eigentlich war Paris–Nizza 1933 ins Leben gerufen worden, um die Skisaison für die örtlichen Hoteliers und Gastwirte zu verlängern. An diesem Samstag aber drückten sich nur wenige Gäste in den Kneipen herum. „Zum Glück gibt es ja den ganzen Tross des Rennens, da können die Wirte wenigstens etwas umsetzen“, meinte die Angestellte des Tourismusbüros.

Viele Tische blieben aber leer. Und auch als abends bei „Chez Frankie“ eine Band aufspielte, drückte sich nicht einmal ein Dutzend Gäste im Schankraum herum. Sie ließen das Bier vor allem deshalb strömen, weil ab Sonntag auch in Frankreich die Gaststuben geschlossen werden.

Die besondere Situation entging natürlich auch den Radprofis nicht. „Es war schon speziell, eine komische Situation. Der DFB hat die Ligen ausgesetzt, die NBA findet nicht statt. Eigentlich findet gar nichts mehr statt, und wir fahren noch Rad“, wunderte sich Schachmann.

Der Berliner nahm es aber pragmatisch. „Wir haben nicht die Macht, das zu entscheiden“, sagte er. Und fügte hinzu: „Ich hoffe, die zuständigen Behörden haben das richtig entschieden. Es sollte auch hier das öffentliche Wohl im Vordergrund stehen.“

Frankreich entschloss sich im europäischen Vergleich recht spät, die Alarmstufe 3 im Coronavirus-Kontext zu verhängen. Erst ab Sonntag bleiben Bars und Restaurants geschlossen, um die Ausbreitung zu verhindern. Als es am Sonntag der Vorwoche an den Start der Fernfahrt Paris–Nizza ging, wurden auch noch Fußballspiele durchgeführt. Das Spiel mit dem Ball dauert aber nur 90 Minuten, während die Fernfahrt von der Metropole an die Cote d’Azur eine Woche in Anspruch nimmt. So wurde das Radrennen zu einem der letzten Monumente des Sports – von manchen mit Bewunderung betrachtet, von vielen wohl eher mit Bestürzung.

Mit gemischten Gefühlen blickten auch viele Sportler selbst und ihre Betreuer auf das Rennen. Aus Sicherheitsgründen blieben sieben WorldTour-Rennställe gleich dem Start fern. Zwei weitere stiegen unterwegs aus. Sie schreckte vor allem das Risiko ab, nicht mehr rechtzeitig aus Frankreich wegzukommen oder bei der Einreise in ihre Heimatländer in 14-tägige Quarantäne zu müssen. „Jeden Tag änderten sich die Bedingungen. Ich bin Belgier, bei uns zu Hause ist alles zu. Die Fahrer hatten Angst, nicht mehr zu ihren Familien zu gelangen“, begründete Dirk Demol, sportlicher Leiter bei Bahrain Merida, den vorzeitigen Ausstieg seines Teams. Bei Israel Start Up Nation, dem Team des Kölner Klassikerspezialisten Nils Politt, war es ähnlich. Der Rennstall reiste einen Tag vor Ende des Rennens ab.

Fliehende Füße

14 Teams hielten bis zum Ende durch, 7 blieben gleich zu Beginn des Rennens weg

14 Teams hielten bis zum Ende durch. Normalerweise nehmen 23 Rennställe an einem WorldTour-Rennen teil, und jeder reißt sich darum, mitmachen zu können. Jetzt stimmten die Füße ab, die fliehenden Füße.

Der Sieg von Maximilian Schachmann ist dennoch bemerkenswert. Er erreichte ihn in einem Klassefeld, setzte sich gegen Rundfahrtsieger wie Nairo Quintana und Vincenzo Nibali durch und gewann vor dem kampfstarken Belgier Tiesj Benoot und Kolumbiens neuem Stern Sergio Higuita. Alle drei Namen sollte man sich merken.

Schachmann zeigte auch Nervenstärke, indem er sich voll auf das Rennen konzentrierte. Ein Ignorant indes ist er nicht. Den Blick für die Situation ringsum verlor er trotz des Fokus auf seinen Beruf nicht: „Es gibt im Moment für Europa größere Sorgen und die müssen jetzt bewältigt werden. Und ich hoffe, das kriegt die ganze Nation in den Griff und zieht an einem Strang“, sagte er.

Die Ausnahmesituation des Radsports ist mit dem Ende von Paris–Nizza erst einmal vorbei. Wann es mit Rennen weitergeht, weiß niemand. Erst kommt das Virus, dann die Pedale.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen