: Die unerwartete Leichtigkeit des Stahls
Die Ausstellung „Bremen vierkant“ von Robert Schad zeigt im Gerhard-Marcks-Haus und zeitgleich in Gröpelingen und Bremen-Nord, wie beweglich und filigran Stahl sein kann
Von Teresa Wolny
Auf dünnen Spinnenbeinen scheint „Flugte“ zu tanzen, „Serres“ schaut zu, sieht dabei aus, als würde sie mitmachen wollen. „Pokinak“ liegt auf dem Boden, eine verschlungene Linie aus schwarzem Stahl, eine Zeichnung im Raum, als hätte jemand sie mal eben kurz mit den Händen zurechtgebogen. Tatsächlich wiegt Pokinak über 600 Kilo, und um die Skulptur zu bearbeiten, hat der Künstler Robert Schad sicher auch, auf keinen Fall aber ausschließlich seine Hände benutzt.
Euro-Paletten, Rollbretter, Gerüste und Werkzeug bevölkern wenige Tage vor Beginn der Ausstellung „Bremen vierkant“ die Räume im Gerhard-Marcks-Haus. Die Skulpturen von Robert Schad zu installieren ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht leicht. Um eine der kleineren Skulpturen auf den Sockel zu heben, braucht es die Kraft von drei Personen. Einige Teile liegen noch auf Schaffellen und Teppichen auf dem Boden und warten darauf, nicht nur hingestellt, sondern in einigen Fällen sogar an die Wand gehängt zu werden.
Im Eingangsbereich des Museums empfangen einen bereits der flammenähnliche „Gargul“ und die kalligrafische „Mervel“. Beide berühren den Boden trotz ihres enormen Gewichts scheinbar nur ganz leicht. Es sind Wesen, die er gebäre, sagt Robert Schad über seine oft tonnenschweren Stahlskulpturen. Wegen dieser Verbindung könne er sie nicht „ohne Titel“ nennen, wie es bei anderen Bildhauern oft der Fall ist. Die Art, wie der 1953 in Ravensburg geborene Künstler über seine Arbeiten spricht, oft mit direktem Artikel – „die Ella“ – verstärkt den Eindruck, dass man es hier mit individuellen Wesen zu tun hat, geschnitten und geschweißt aus Stahlstangen. Im lichtdurchfluteten Museum wandert hinter jedem dieser Wesen ein Doppelgänger aus Schatten. Was man darin sieht, ob ein Auge oder einen Fluss oder einen Stadtplan, ist jedem selbst überlassen. Die Linien setzen sich draußen vor dem Fenster in den nackten Ästen der Bäume fort.
Diese Linien kommen aus dem Körper des Künstlers. Sie sind deshalb weder rechtwinklig, noch hören sie dabei am Ende einer Skulptur auf. Unsichtbar schlängeln sie sich durch den Raum und werden am Anfang des nächsten, leichtfüßigen Stahlkolosses wieder aufgenommen. Für Schad sind die Skulpturen in Gedanken immer in Bewegung, sie tanzen und verweilen nur dann, wenn sie angeschaut werden. Seit den 1980er-Jahren beschäftigt sich der Künstler mit dem Verhältnis zwischen Skulptur und Tanz. Die Liste der zeitgenössischen Tänzer:innen und Choreograf:innen, die mit Schads Skulpturen gearbeitet haben, ist lang: Anna Huber, Gerhard Bohner, Helge Letonja, Susanne Linke, Urs Dietrich. So ist es nur folgerichtig, dass im Rahmen von TANZ Bremen, dem internationalen Festival für zeitgenössischen Tanz, vom 15. bis zum 23. Mai auch im Gerhard-Marcks-Haus Performances stattfinden werden, die Stahl- und Menschenkörper in Beziehung zueinander setzen.
Die Schwere soll aufgelöst werden, der Künstler träumt von der Leichtigkeit. „Sieht aus, als könnte man sie aufheben und mitnehmen“, sagt er, die halbe Tonne Stahl betrachtend, die sich ohne Anfang und Ende vor ihm auf dem Boden schlängelt. Er vergleicht die Linien der Skulpturen mit der Linie, die der Stift beim Schreiben auf das Papier zieht, von Handschrift zu Handschrift unterschiedlich. Um diese Linie auch wirklich als solche erkennbar zu machen, sind die Schweißnähte der schwarzen oder rostfarbenen Skulpturen verschleift. Warum er sie rosten lässt? „Wir haben ja auch das Recht zu rosten, dann darf die Skulptur das auch.“ Er lehnt sich auf „Subirat“. Ganz leicht fängt es an zu schwingen, und man fragt sich, was wohl mit dem Fliesenboden passiert, sollte es die Balance verlieren und umfallen.
Schads Werke sind dabei nicht neu in Bremen: Die fünf Meter hohe Großplastik „Romari“ steht seit 1998 am Kennedyplatz. Winzig im Vergleich zu den 34 Metern des vermutlich höchsten Kruzifixes der Welt, das Schad für den portugiesischen Wallfahrtsort Fátima geschaffen hat. Das Monumentale ist dabei aber eigentlich von Beginn an bereits im Werkstoff enthalten: Je nach Verwendungszweck gibt es über 2000 verschiedene Sorten Stahl, die meisten davon noch sehr jung. Von keinem anderen metallischen Werkstoff werden heute jährlich vergleichbare Mengen produziert. Mit Stahl wurde im 19. Jahrhundert die Eisenbahn gebaut, der Eiffelturm besteht daraus und die Kriegsführung änderte sich durch dieses Material fundamental – zum Grausameren. Schad will diesem geschichtsträchtigen Material Leben einhauchen. Der 45-Vierkantstahl, mit dem er arbeitet, ist so dick, dass der Künstler ihn gerade noch mit einer Hand umgreifen kann. Er kauft die Stäbe in der handelsüblichen Länge von sechs Metern und schneidet sie anschließend zurecht.
Es offenbart sich nicht unbedingt auf den ersten Blick, die Skulpturen haben aber oft einen klar gegenständlichen Bezug. Die Erfahrung, über eine wacklige Hängebrücke zu laufen etwa, ist bei Schad in Stahl gebunden und geschweißt. Oder die aus 29 Spitzen bestehende und damit nicht so recht ins Linienschema passende Skulptur „Karuk“, mit 30 Jahren die älteste Installation der Ausstellung: Sie ist den Spitzhüten der Mönche während der Semana Santa in Sevilla nachempfunden.
„Ausufernd“ nennt Arie Hartog, Leiter des Gerhard-Marcks-Hauses, die Ausstellung von Schads Werken in Bremen. Denn im Marcks-Haus steht nur ein Teil. Andere Skulpturen werden an zentralen Orten in Gröpelingen und dem Knoops Park in Bremen Nord ausgestellt. Schads Kinder aus Stahl erobern den öffentlichen Raum, gehen in die Natur, dahin zurück, wo die Rohstoffe ihres Materials hergekommen sind. Im Atelierhaus Roter Hahn und in der Galerie Krähnholm gibt es weitere kleine Ausstellungen zu Schads Werken.
Gerhard-Marcks-Haus: Bremen vierkant – Robert Schad. Das Museum ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr geöffnet. Bis 14. Juni.
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