berliner szenen: Berlin ist doch ein Dorf
Just in dem Moment, in dem meine frühere Dozentin mir in einem kleinen indischen Restaurant im Prenzlauer Berg etwas über die einstigen Dörfer Berlins erzählt, kommt eine ehemalige Kommilitonin durch die Tür des Etablissements und ruft bei unserem Anblick erstaunt: „Nein! Ihr hier?“ In der 100.000-Einwohner-Stadt, in der wir vor zehn Jahren zusammen bei ebenjener Dozentin studierten, war jederzeit damit zu rechnen, Bekannte zu treffen. In Berlin ging ich immer davon aus, dass zufällige Begegnungen höchstens an sozialen Hotspots zu erwarten sind. Die letzten Monate aber haben mir gezeigt, dass Berlin ein Dorf ist.
An einem Mittwoch befand ich mich auf dem Rückweg von der Arbeit, als ich auf dem Bahnsteig vom S-Bahnhof Südkreuz meinen Hund entdeckte. Mein Freund, der mit ihm verreist war, war unangekündigt früher als geplant zurückgekommen und wartete genau in Höhe meines Waggons auf die S-Bahn.
Tags darauf stieg ich auf dem Weg zur Arbeit am S-Bahnhof Westend um. Ich war furchtbar nervös, weil ich zum ersten Mal eine Geschichtsstunde unterrichten sollte, hätte alles für eine Zigarette gegeben und beneidete einen Typen, der nichts auf das Rauchverbot gab und auf dem Bahnsteig vor sich hin paffte, als ich meinen ersten Freund erkannte, der am entgegengesetzten Ende der Stadt als Geschichtslehrer tätig ist. Auf die Frage, was ihn frühmorgens in meine Hood verschlüge, antwortete er: „Meine Freundin wohnt hier.“ Beiläufig nannte er ihren Namen, der meinem gleicht und fragte dann: „Was machst du hier?“ Ich erzählte von meiner neuen Lehrtätigkeit und er gab mir wertvolle Tipps.
Seither erstaunt mich so schnell keine Zufallsbegegnung mehr. Freudig winke ich meine einstige Kommilitonin an unseren Tisch.
Eva-Lena Lörzer
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