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Im Wandel, mittendrin IX

Der Künstler Miro Kaygalak bringt Verdrängtes zurück auf die Tagesordnung

Der Leitgedanke meiner Arbeit 1915-20:15 war die Frage, wie es sich in einer Atmosphäre gesellschaftlicher Amnesie an ein ein Jahrhundert zurückliegendes, verdrängtes und nach wie vor geleugnetes Ereignis erinnert? Anlässlich des hundertsten Gedenktages des Genozids an den osmanischen Christen wurde der türkischen Intelligenzija ein Vorschlag für eine Installation unterbreitet. Eine digitale Uhr im Stadtraum, die jeden Tag um 19.15 Uhr eine Stunde lang stehen bleibt. Die Sekundenanzeige des blinkenden Doppelpunktes erlischt und die digitalen Ziffern werden als jene Jahreszahl des Ereignisses lesbar, welches sich bis heute als größtes Tabu des Landes darstellt. Der simple Verweis auf das zeitliche Ereignis deutet ohne weitere Konnotationen auf die ­Tilgung aller Spuren armenischen Lebens im traditionellen Stammesgebiet hin. Das Pausieren der Erinnerungsuhr ist eine performative Setzung, die als Irritationspunkt das Individuum in seiner Alltäglichkeit sowie persönlichen Erfahrungswelt anspricht. Somit ist eine Apparatur geschaffen, die als Alltags-Taktgeber getarnt ihre Funktion als Denkmal an praktisches Handeln knüpft. Aus Protest gegen das Verstreichen des hundertsten Gedenkjahres ohne nennenswerte Veränderung in der türkischen Erinnerungspolitik wurde am letzten Tag des Gedenkjahres 2015 die vom mir eigenhändig gefertigte Uhr in Berlin in Betrieb genommen. Miro Kaygalak

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