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Zur Strafe Pocken

Tanz, Theorie, Aktivismus und Textarbeit: Am Theater Bremen zerlegen „La Fleur“ Émile Zolas „Nana“ bereits zum zweiten Mal fachgerecht in Diskursbrocken. Stichwortgeberin ist diesmal die feministische Schriftstellerin Virginie Despentes

Von Jan-Paul Koopmann

Nanas trauriges Ende soll eine Hinrichtung durch Pocken gewesen sein: verurteilt und vollstreckt von Schriftsteller Émile Zola als Strafe für ein ausschweifendes Leben und selbstbestimmtes Ficken. So jedenfalls lesen „La Fleur“ den Roman von 1880 und entwickeln dann doch eine ganz andere Geschichte aus dem Material. Wohin es dabei geht, verspricht bereits der Titel mit entschiedener Patzigkeit: „Nana kriegt keine Pocken.“ Nicht bei uns.

Es ist bereits der zweite Angriff auf den Stoff, den die von Monika Gintersdorfer und Franck Edmond Yao gegründete Tanz- und Performance Compagnie am Bremer Theater unternimmt. Bereits im vergangenen Jahr hatte La Fleur das französische Belle-Époque-Sittengemälde in „Nana ou est-ce que tu connais le bara?“ getanzt, gespielt und dekonstruiert. Geblieben ist der Ausgangspunkt: ein herrlich wildes Schaulaufen der Klassen, Schichten und Figuren bis zum Zusammenraufen zum Cancan, in den sich düster knarzende Beats einschleichen – gefolgt von einem beachtlichen Diskursapparat.

Dafür stehen in dieser zweiten Ausgabe nun insbesondere die feministische Schriftstellerin Virginie Despentes und ihr Roman „Pauline und Claudine“. Die Handlung erzählt Matthieu Svetchine in Teilen nach, während die Fragmente auf der Bühne bereits in Choreografie übersetzt werden. In Kurz: Eine junge Frau nimmt die Rolle ihrer verstorbenen Schwester an und findet schließlich als Hy­brid verschiedener gesellschaftlicher Frauenrollen zu sich selbst und zu selbstbestimmtem Sex, der Mittel zum Zweck sein darf und darum aber nichts Schlechtes sein muss. Und der darum eben nicht – wie noch zu Nanas Zeiten – mit dem Tode bestraft wird.

Auf der Bühne heißt das für den Anfang: Lernen, auf High Heels zu laufen – auf echten, oder auch mit angeklebten Holzklötzchen unterm Fuß. Ein Staksen ist das und manchmal auch ein Robben, das in immer expressivere Formen übergeht und in Sachen Körperkunst wie Metaphorik geballt unter Beweis stellt, wozu diese Tänzer*innen im Stande sind, wenn man sie gewähren lässt. Jede*r für sich und mit Lust auch daran, scheiternde Figuren ruhig noch eine Weile durchzuziehen, bevor man sie zugunsten der nächsten verwirft. Pointierter hat sich selten jemand durch Rollen und Figuren hindurchgewurschtelt. Und darum geht es eben auch bei der ganzen Geschichte.

Dass die Metapher vom Laufenlernen bereits in Despentes’Roman zentral ist, heißt allerdings nicht, dass Le Fleur ihr blind aufsitzen würden. Wie schon Zolas „Nana“ wird „Pauline und Claudine“ nicht nur nacherzählt, sondern auch problematisiert: „Sorry Virginie, wir mögen dich echt gerne, aber ...“ Hier habe sie beim Alltag im Château Rouge übertrieben, dort das entsetzliche Klischee der großen, schwarzen Schwänze überstrapaziert. In guter Absicht vielleicht, aber nee …

Das ist sicher nicht immer ganz fair, und manchmal geht die Kritiken an Despentes’Figuren und ihrer Autorinnenschaft auch etwas wüst durcheinander. Wahrscheinlich haben Empower­ment-Positionen ein grundsätzliches Problem, wenn auch Arschlöcher in Texten sprechen dürfen. Vielleicht liegt es auch ein bisschen daran, dass hier nur die erste Hälfte des Romans im Detail zerlegt und der Rest in drei Sätzen als Rutsche ins Happy End abgetan wird. Vielleicht auch nicht. Das Verhältnis zum Text bleibt schon deshalb sehr produktiv offen, weil hier ganz bewusst die unterschiedlichsten Haltungen in übrigens auch unterschiedlichsten Sprachen ausprobiert und -formuliert werden. So ist es eben, wenn auch auf der Bühne Spieler*in, Leser*in und Autor*in zehnfach in eins fallen.

Wer Widersprüche nicht auszuhalten vermag, der oder die ist hier sowieso im falschen Stück gelandet. Und die haben es tatsächlich in sich, auch wenn sie einem nicht immer so hübsch dialektisch ins Gesicht springen, wie bei dem Techtelmechtel von Elisabeth Tambwe und Matthieu Svetchine: wo er vom Schleppenträger zum Leinenführer wird und sie, die strenge Herrin, sich auch auf dem Boden noch in dominanter Pose räkelt.

Wer Widersprüche nicht auszuhalten vermag, ist hier sowieso im falschen Stück gelandet. Und diese Widersprüche haben es tatsächlich in sich

Und von wegen Haltung: Ganz besonders hübsch ist die der „grungigen“ Innerlichkeit, wofür es bemerkenswerterweise keine vernünftige deutsche Übersetzung gibt, obwohl es wahrscheinlich eine der verbreitetsten im weißen Durchschnittspublikum sein dürfte. In „Nana kriegt keine Pocken“ kommt sie als Gesangseinlage zu Wort: „Ich schließ mich auf dem Klo ein / und das ist nicht privat / Das ist ’ne Antihaltung / gegen euren Apparat“. Grunge also, Sie werden sich erinnern. Und falls nicht, dann helfen La Fleur über den Look nach: das Karohemd oder „Hass im Quadrat“ oder auch die Restwürde der geknechteten Privilegierten. Das ist alles nicht so einfach – aber lustig.

Fragmente sind das, mit einer Strahlkraft, hinter der die erzählerische Stringenz mitunter auf der Strecke bleibt. Es ist zugegebenermaßen eine feuilletonistischen Unsitte, penetrant auf dem Text herumzureiten, dass es aber trotz langer Nacherzählung und Erklärungen schwer ist, der Handlung von „Pauline und Claudine“ zu folgen, ist schon ein Problem der Inszenierung. Wobei das sicherlich auch am kurzfristigen, krankheitsbedingten Ausfall einer der erzählenden Rollen liegen wird.

Zünden tut sie trotzdem, diese Melange aus Tanz, Theorie, Aktivismus und Textarbeit. Und Spaß macht es noch dazu, diese handgreifliche Aneignung von Rollenbildern und kulturellen Praxen: von Twerking bis Vogueing, bis zu den weißen Tennissocken in Matthieu Svetchines Stöckelschuhen. „Homo“ steht da drauf, in Fraktur.

Was bleibt, ist die – im besten Sinne des Wortes – Basisbanalität, dass man Menschen einfach mal machen lassen soll. Ästhetisch gilt das für dieses beachtliche Körperwissen in La Fleurs Bewegungsarsenal und gesellschaftlich für das schwungvolle Zerhacken dieser grässlichen Kategorien aus Gender, Geschlecht und sexuellen Vorlieben. Und wenn auch nur ein bisschen davon hängen bleibt, dann ist schon viel erreicht.

„Nana kriegt keine Pocken“: Sa, 22. 2., 20 Uhr, So, 23. 2., 18.30 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus

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