Andreas Speit Der rechte Rand: Wie ein Rechtsextremist unsichtbar wird
Um 6.20 Uhr war in der kleinen Wohnsiedlung in der Lüneburger Heide die idyllische Ruhe vorbei. Spezialkräfte der Polizei stürmten am Freitag das Haus von Tony E. in der Gemeinde Wriedel. Er steht im Verdacht, eines der führenden Mitglieder einer rechtsextremen Terrorgruppe zu sein, die mit zehn Kommandos zehn Moscheen angreifen wollte, um die Betenden zu ermorden. In fünf weiteren Bundesländern standen die Ermittler zeitgleich vor den Türen von dreizehn Verdächtigen.
In den vergangenen Jahren wurde Polizei und Verfassungsschutz von Politik und Medien oft vorgehalten, rechten Terror nicht wahrgenommen und kaum verfolgt zu haben. In diesem Fall hatten die niedersächsischen Sicherheitsbehörden E. tatsächlich nicht auf dem Schirm. E. entzog sich einer möglichen Beobachtung. Nicht weil der 39-Jährige, der die Gruppe gemeinsam mit Werner S. aus Bayern geleitet haben soll, sehr konspirativ agierte. Aber er besuchte in Niedersachsen offenbar keine Rechtsrockevents, mied rechte Versammlungen, ging nicht zu einschlägigen Brauchtumsfeiern und blieb Szeneaufmärschen fern.
„Er ist hier nirgends öffentlich aufgetreten. Er hat an keiner rechten Veranstaltung teilgenommen, die wir beobachtet haben“, sagt auch Olaf Meyer von der Antifaschistischen Aktion Lüneburg/Uelzen.
Auch an seinem Wohnort fiel E., der Vater zweier Kinder ist und nach der Hochzeit seinen Nachnamen änderte, nicht mit rechtsextremen Sprüchen auf. Nachbarn sahen ihn aber hin und wieder mit einschlägiger Kleidung. Ein Hemd mit der Aufschrift „Heimatschutz Niedersachsen“ soll er getragen haben.
Auf Facebook wurde E., der nun in Untersuchungshaft sitzt, umso deutlicher: Er hetzte gegen Muslime und Geflüchtete, fand die rechten Gruppe „Brigade 8“ und „German Defence League“ gut. Ein Bild zeigt ihn mit dem „Freikorps Heimatschutz“. Dieses Netzwerk lädt nicht zu öffentlichen Veranstaltungen ein. In den Sozialen Netzwerken erklärt dieses Freikorps: Sie seien „keine Terroristen“, sie würden sich aber „vorbereiten, „mit Kampfsport und Geländeausbildung“, um die „Heimat zu schützen, wenn 400.000 ungemeldete Migranten in einem von dem USisrael angezettelten Krieg (...) plündernd und mordend durch unsere Heimat ziehen“. Mit der neuen Gruppe, die im Chat zusammenfand, wollte E. handeln. Die Ermittler fanden mehrere Handys und eine größere Menge eines Stoffes aus dem Sprengstoff hergestellt werden könnte, berichtet der NDR. E. soll verkündet haben, bereit zu sein für „die Sache“ zu sterben.
Andreas Speitarbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.
In den vergangenen Monaten sollen auf dem Grundstück von E. auch Treffen stattgefunden haben. Nach der Razzia kamen rechte Mitstreiter zu der Familie. E. scheint gut vernetzt.
Die Nichtwahrnehmbarkeit des potenziellen Täters erinnert an einen verurteilten Täter aus Niedersachsen: Der Rechtsextremist Holger Gerlach hatte das NSU-Terror-Trio bis zum zufälligen Auffliegen über Jahre unterstützt. Auch er war den Behörden zuvor nicht mehr aufgefallen. Der Trick: Auch er blieb einfach beobachteten Szeneevents fern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen