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Bücher neben selbst Gefilztem

Die seit 25 Jahren bestehende Bremer Buchhandlung „Morgenstern“ begeistert nicht nur Anthroposophie-Fans. In ihrem Sortiment finden sich auch Holzfigürchen, Filzpuppen und Kunstpostkarten – und liebevolle Beratung

Von Alina Götz

Ein Mann mit Fahrradhelm kommt durch die Tür der Bremer Buchhandlung „Morgenstern“, es bimmelt. Er will zwei Bücher über Urlaube im Wohnmobil abholen. Der Holzboden knarzt, als Gabriele Mohr zum Tresen geht. Sie nimmt sich Zeit und unterhält sich mit ihm über Wohnmobile und Reisen mit Kindern.

Früher seien vorrangig Menschen gekommen, die irgendwas mit Anthroposophie und Waldorf am Hut hatten, erzählt Mohr. „Inzwischen sind wir die Buchhandlung des Viertels.“ Jedes Buch ist bestellbar – über genialokal.de auch online. „Das nutzen die Leute viel, wenn sie keine Lust haben anzurufen oder keine Ladenzeit ist“, sagt Mohr. Abholen müssen sie die Bücher aber immer noch selbst.

Mohr war früher selbst Förderlehrerin an einer Bremer Waldorfschule. Bis 2006 hat sie dort einzelne Kinder und kleine Gruppen im Unterricht begleitet. Und außerdem eine eigene Zirkusgruppe ins Leben gerufen. „Viele der Lernschwierigkeiten lassen sich durch Bewegung verbessern.“ Einer von Mohrs Schülern habe gelernt, auf dem Balancierball zu laufen – „Darauf konnte er ohne zu stottern sprechen“.

Zur Buchhandlung Morgenstern, die auf anthroposophische Literatur spezialisiert ist, haben sie ihre selbst gefilzten Tiere gebracht. Als der Laden noch mitten im Bremer Viertel lag, brachte Mohr ihre Bastelei vorbei und fragte ganz direkt: „Könnt ihr die gebrauchen?“ Außerdem bot sie an auszuhelfen. „Da jemand aufhören wollte, hat das gepasst. Ich habe mich dann selbst eingearbeitet – hier ist niemand ausgebildete Buchhändlerin.“

Kurz darauf, vor 15 Jahren, zog man vom Viertel nach Hastedt. Die hellen Räume mit den großen Fenstern schienen attraktiver als das Souterrain. Die Filzbälle, die im Regal mit den Spiel- und Bastelsachen liegen, macht Mohr heute noch selbst.

Die Bremer Buchhandlung besteht seit 25 Jahren. Mohr ist eine von rund zehn Gesellschafter:innen der GmbH, fünf von ihnen arbeiten im Laden. Mohr verkauft inzwischen nur noch an einem Tag in der Woche, im März möchte sie ganz aufhören.

Auf die Frage, was Anthroposophie eigentlich genau auszeichne, antwortet sie nach kurzem Überlegen: „Das Menschenbild.“ Der Mensch werde als eine geistige Wesenheit gesehen, die sich im Irdischen verkörpere. „Leib, Seele und Geist werden als eine Einheit, als ein Kosmos verstanden.“

Der Begründer dieser Weltanschauung ist Rudolf Steiner. Die gebundenen Ausgaben seiner Werke stehen am Ende des kleinen, hinteren Raums in der Buchhandlung Morgenstern. „Nur ein Bruchteil natürlich“, sagt Mohr. Sie blättert in einem seiner Bücher: „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“. Die ganze Ökobewegung komme eigentlich aus der Anthroposophie, sagt Mohr. „Auch die biologisch-dynamische Landwirtschaft ist durch sie inspiriert.“

Steiner habe sich zu vielen Themen – Medizin, Religion, Bildung – geäußert, oft auf Nachfragen hin, erklärt Mohr. Auch der Inhalt des „Landwirtschaftlichen Kurses“ stammt aus einem Vortrag von Steiner, gehalten 1924 bei Breslau, dem heute polnischen Wrocław.

Ergänzt werden die Texte des Begründers der Anthroposophie durch jede Menge Sekundärliteratur. „Gemeinsam Bewegen – Eurythmie für Arbeits- und Teamkultur“ heißt ein Buch. „Es gibt tatsächlich Anleitungen, wie die Buchstaben aussehen“, sagt Mohr und zeigt schwungvoll das A und das B.

Auch die Auswahl der Bilder- und Jugendbücher – „Der geheime Garten“, „Momo“, „Die unendliche Geschichte“ – wurde vor dem anthroposophischen Hintergrund getroffen. „Für diese Vorauswahl sind die Kunden sehr dankbar“, weiß Mohr.

Zur Buchhandlung haben sie ihre selbst gefilzten Tiere gebracht

In der Waldorfpädagogik drücke sich das anthroposophische Menschenbild in dem Versuch aus, der seelischen Entwicklung des Kindes zu entsprechen. So werde das Lesen und Schreiben über die Märchenwelt vermittelt.

„Normalerweise wird bei Kindern vor der Einschulung vorrangig auf die körperliche Entwicklung geschaut – Motorik, Zahnwechsel“, sagt Mohr. „In der Seele ist aber noch die Kleinkindzeit präsent, das Leben in einer mystischen Welt.“ Die Buchstaben würden daher im Unterricht in Bilder eingebettet. Steiner hielt seine Gedanken in Büchern wie der „Allgemeinen Menschenkunde“ fest. Auch einen Lehrplan hat er entwickelt. Auch Mohrs zwei Töchter sind auf die Bremer Waldorfschule gegangen, an der die Mutter früher tätig war. „Eine der beiden ist mal für ein Jahr auf eine öffentliche Schule gegangen“, erinnert sich Mohr und lacht auf. „Die Form des Lernens und Klausurenschreibens erschien ihr durch die kurzen Unterrichtseinheiten sehr unökonomisch – und ihr fehlte die Kunst.“

In der Buchhandlung ist die Auswahl an Büchern zu Werken und Basteln entsprechend groß: Ein „Nützliches Knotenbüchlein“ steht neben dem „Taschenmesser Schnitzbuch“ und „Stricken für kleine Kinder“. Zubehör gibt es bei Morgenstern auch gleich dazu. Bunt- und Wachsmalstifte, Filzutensilien, Knüpfstern und Strickpilz liegen in breiten Holzregalen. Es riecht nach Farbe. Auch bereits gefertigtes Spielzeug wie verschiedene Holztiere liegt dort.

Außerdem gibt es die obligatorischen bunten Holzbuchstaben für Kinderzimmertüren, dazu Kunstpostkarten, geschnitzte Holzbilderrahmen und Musikinstrumente. „Kinderharfe und Blockflöte“, sagt Mohr lächelnd – „was eben in der Waldorfschule gebraucht wird“.

Die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie ist umstritten. Vieles sei aber durch die Praxis erfahrbar, sagt Mohr. „Ich habe keine Kenntnisse der höheren Welten, aber ich habe Erfahrungen, sodass ich vielem zustimmen kann.“ Ob das Umwelt- oder Menschenbild betreffend – „was durch Steiner in die Welt gekommen ist, ist einfach ganz viel Positives“.

Morgenstern Buchhandlung, Sankt-Jürgen-Straße 151, Bremen

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