: Mehr Vielfalt auf dem Acker
Wie die Landwirtschaft ökologischer werden kann: Strenge Bioregeln schränken auf den ersten Blick ein. Auf den zweiten Blick fördern sie allerdings auch Innovation
Von Manfred Ronzheimer
Der „stumme Frühling“ auf den Feldern, das Ausbleiben der Vögel und Insekten hat viel zu tun mit den Monokulturen der industriellen Landwirtschaft. Von jeher setzt daher ihr Gegenpart, der Ökoloandbau, auf den Verzicht auf Agrochemikalien gegen Schädlinge und Unkräuter, die hier Wildkräuter heißen. Die Bewahrung der pflanzlichen Artenvielfalt im Gemüse- und Obstanbau ist ein zentrales Anliegen der Biolandwirtschaft, die dabei auch ökologische Züchtungsmethoden anwendet.
„Artenvielfalt ist das Immunsystem unseres Planeten, denn Vielfalt macht Anbausysteme widerstandsfähiger und ertragreicher“, sagt Alexander Gerber, der im Vorstand des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) für Landwirtschaft zuständig ist, Nicht nur der Augenschein, sondern auch viele wissenschaftliche Untersuchungen belegen fundiert, dass Ökoflächen besonders artenreich sind.
„Wildkräuter, Insekten und Feldvögel profitieren von einer vielfältigen Fruchtfolge und der Bewirtschaftung ohne chemisch-synthetische Herbizide, Pestizide und synthetische Mineraldünger“, stellt der BÖLW in seinem 10-Punkte-Programm zur „Zeitenwende“ in der Agrarpolitik fest, das er im Januar auf der Grünen Woche in Berlin vorstellte. „Biounternehmen tun mehr für Bienen, Braunkehlchen und Feldhase, denn Öko schützt die Artenvielfalt auf der gesamten Betriebsfläche“, fügt Gerber hinzu. Eigene Bioinitiativen zum Artenschutz beleben die Biodiversität. Für den BÖLW sind es vor allem Biohöfe, die alte Kultursorten und Nutztierrassen erhalten.
Dagegen drohen die Maßnahmen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ins Leere zu laufen. „Weder die Ackerbaustrategie noch der Nationale Aktionsplan zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (NAP) der Bundesregierung leisten einen wirksamen Beitrag, um den Ackerbau nachhaltig zu machen“, urteilt der Bioverband. Es fehle an konkreten Zielen zur Minderung von Stickstoffüberschuss und Pestizidmengen; auch die Erwartungen an Digitalisierung und Gentechnik seien „fern von wissenschaftlicher Evidenz“.
Mit vielfältigen Fruchtfolgen, innovativer Ökozüchtung und Humuswirtschaft halten Ökolandwirte ihren Dinkel, ihren Weizen und ihre Gerste auf dem Acker gesund. „Chemisch-synthetische Pestizide brauchen Biobauern dafür nicht“, bekräftigt BÖLW-Gerber. Immerhin: Auch wenn die Bionische noch nicht zum Agrar-Mainstream geworden ist, fördert das BMEL mit dem „Bundeswettbewerb Ökolandbau“ jährlich Vorzeigeprojekte der alternativen Landwirtschaft. In diesem Januar wurde die Auszeichnung zu 20. Mal vergeben.
Für Jürgen Heß, Agrarwissenschaftler an der Universität Kassel, hat der Wettbewerb wichtige Ansätze bekannt gemacht. Zu den Errungenschaften in der Ökolandwirtschaft zählt er unter anderem die Züchtung pilzwiderstandsfähiger Wein- und resistenter Weizensorten, die Entwicklung von Mobilställen für die Hühnerhaltung, den Aufbau einer Genbank für alte und neue Kartoffelsorten oder die Habitatsicherung von Tausenden Hektar Naturschutz- und Moorflächen durch extensive, ganzjährige Beweidung. „Die strengen Bioregeln schränken auf den ersten Blick ein, auf den zweiten Blick fördern sie jedoch Innovation“, lautet das Fazit des hessischen Agrarprofessors.
Tatsächlich geht es auch auf den Bioäckern innovativ zu, werden Neuerungen schonend ausprobiert. Unter dem Slogan „Kernkraft? Ja, bitte!“ – der in der Tat Aufmerksamkeit erweckt – hat sich eine Gruppe von Biolebensmittelhändlern zusammen mit Biobauern (denn’s, Zwergenwiese, Voelkel, Rapunzel, Bio Planète, Sonnentor, Schrozberger Milchbauern, Holle und Morgenland) einer Initiative für Ökozüchtung angeschlossen.
„Es ist höchste Zeit, als Fachhandel darauf hinzuweisen, wie wichtig der Erhalt von Biosaatgut ist. Vielen ist noch nicht bewusst, wie es um die Artenvielfalt unserer Nutzpflanzen bestellt ist“, betont Lukas Nossol, Marketingchef der denn’s Biomärkte.
Die Gruppe hat 300.000 Euro an den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft gespenset. Das Geld kommt vier Projektpartnern zugute, die exemplarisch für das Engagement im Bereich Ökozüchtung stehen: apfel:gut e. V., Poma Culta, Getreidezüchtung Peter Kunz und Kultursaat e. V.
Auf den Äckern und Wiesen sind nach wissenschaftlichen Einschätzungen weltweit bereits 94 Prozent der einstigen Pflanzenvielfalt verloren gegangen. „Während sich die konventionelle Landwirtschaft auf wenige ertragreiche Sorten konzentriert, mit Hybridsaaten die Weitergabe der Erbanlagen lahmlegt und mittels Gentechnik in das Mikrogleichgewicht des Zellkerns eingreift, geht die Ökozüchtung bewusst andere Wege“, erklären die landwirtschaftlichen „Kernkraft“-Befürworter ihren Ansatz. „Für uns sind genetische Vielfalt, nachbaufähiges Saatgut und eine gentechnikfreie Züchtung die Basis für eine gesunde Zukunft“.
Die „Nachbaufähigkeit“, also die natürliche Weitergabe der Erbanlagen, werde dagegen durch moderne Hybridsaaten unter Einsatz der „Genschere CRISPR/Cas“ unterbrochen. Das Verfahren kann gezielt Gene im Zellkern ausschalten, verändern und austauschen. Landwirte, die Hybridsaat ausbringen, müssen folglich, um beständige Qualität sicherstellen zu können, immer wieder neues Saatgut kaufen. „Das schafft Abhängigkeit von Saatgutfirmen und verhindert planvolle Züchtung“, erklärt die Initiative zur Erhaltung natürlicher (Zell-)Kerne und Körner.
Auch Pflanzen, die nicht unmittelbar der menschlichen Ernährung dienen, haben Schutz verdient. Unter dem Motto „Macht die Äcker wieder wild!“ hat der bayerische Müslihersteller Barnhouse eine Initiative zur Wiederansiedlung von Ackerwildkräutern gestartet. „Gemeinsam mit unseren regionalen Partnerlandwirten wollen wir die Vielfalt der Ackerwildkräuter zurück auf die Felder holen“, erklärt Barnhouse-Geschäftsführerin Sina Nagl. Das verwendete Saatgut besteht aus neun Arten, die von den teilnehmenden Landwirten mit standorttypischen Kräutern ergänzt werden.
„Mineraldünger und Pestizide, optimierte Saatgutreinigung und veränderte Bodenbearbeitung sowie das Abweichen von traditionellen Fruchtfolgen haben unsere Felder richtiggehend arm gemacht“, beschreibt Nagl die Ausgangslage. Mit dem Rückgang der Ackerwildkräuter bietet die „Nektarwüste Getreidefeld“ auch vielen Tierarten, wie Insekten und Vögeln keinen Lebensraum mehr. Die Folge: Ein wichtiger Teil der Nahrungskette verschwindet und mit ihm auch die Schmetterlinge, Bienen, Feldlerchen, Rebhühner, Wachteln, Füchse und Marder. Mit den Unkräutern soll das Leben zurückkehren. „Wir wollen Erfahrungen sammeln, um das Projekt dann im Folgejahr Jahr auszuweiten“, sagt Sina Nagl. Eine Forstwirtschaftlerin übernimmt dabei die Beratung der Landwirte und begleitet das Projekt.
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