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Weniger Suizide in Bremen

Zwischen 2017 und 2019 haben sich im Land Bremen 250 Menschen selbst getötet, 68 weniger als zwischen 2014 und 2016. In fünf Fällen war die Staatsangehörigkeit unbekannt

Wer sind die Menschen, die hier leben und niemand kennt sie? Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von Eiken Bruhn

In Bremerhaven haben sich zwischen 2017 und 2019 weniger Menschen selbst getötet als in den drei Jahren davor. Das geht aus einer Antwort der Innenbehörde auf eine Anfrage der taz hervor. Eine Nachricht ist das, weil eine Nachfrage der CDU vor zwei Jahren ergeben hatte, dass sich in Bremerhaven überdurchschnittlich viele Menschen das Leben genommen hatten. Eine Erklärung gab es damals nicht. Sie scheint sich auch erübrigt zu haben, weil die Zahl wieder gesunken ist.

Insgesamt hat die Polizei im Land Bremen in den Jahren 2017 bis einschließlich 2019 rund 250 Suizide untersucht. Zwischen 2014 und 2016 waren es 319. Besonders hoch war die Anzahl 2016 mit 50 Suiziden in Bremerhaven – fast so viele wie in Bremen im selben Zeitraum.

Nach der aktuellen Statistik gab es in Bremen rund vier Mal so viele Selbsttötungen wie in Bremerhaven. Bremen hat fast fünf Mal so viele Einwohner*innen wie Bremerhaven. Die Geschlechterverteilung entspricht dabei dem Bundesdurchschnitt: In beiden Städten waren zwei Drittel derjenigen, die sich getötet hatten, Männer.

Das war in den Jahren 2015 und 2016 in Bremerhaven anders: Hier hatten sich fast genau so viele Frauen wie Männer umgebracht. Auffällig war zudem eine außergewöhnliche Häufung von Suiziden in der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen in Bremerhaven im Jahr 2016. Diese stellten mit 13 Fällen in dem Jahr die größte Gruppe.

Dabei ist diese Altersgruppe auch im bundesweiten Vergleich keine, die ein erhöhtes Risiko zur Selbsttötung mit sich bringt. Das steigt erst danach an. Nach einer Auswertung der Bundesstatistik durch die Deutsche Depressionshilfe sind ältere Männer am stärksten betroffen. Danach steigt bei Frauen das Risiko mit zunehmenden Alter nur moderat an. Ein Beispiel: Die Suizidrate pro 100.000 Einwohner*innen der 80- bis 90-jährigen Frauen lag im Jahr 2017 bei rund zehn Fällen. Bei Männern waren es sechs mal so viele.

Diese ungleiche Geschlechterverteilung gibt einen ersten Hinweis darauf, dass nicht jeder Suizid die Folge einer unbehandelten Depression sein kann, wie es oft angenommen wird. Denn nach Angaben der Deutschen Depressionshilfe werden Frauen doppelt so häufig wie Männer mit einer Depression diagnostiziert.

Durch Studien belegt ist ein Zusammenhang zwischen ­einer diagnostizierten psychischen Erkrankung und einer Selbsttötung. Rund 90 Prozent aller Suizidierten sollen laut den meisten Hilfsorganisationen an einer psychischen Erkrankung gelitten haben. Eine internationale Meta-Studie aus dem Jahr 2002 kommt sogar auf 98 Prozent. Danach waren Depressionen zwar die häufigste ­Diagnose, dicht gefolgt aber von Schizophrenie und Alkoholismus.

Die Deutsche Depressionshilfe sagt, dass die Behandlung psychischer Erkrankungen die beste Prävention darstelle.

Der Chefarzt der Ameos-Klinik hat einen runden Tisch zur Suizidprävention gefordert

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist darauf hin, dass „viele Suizide impulsiv in Krisen geschehen, wenn jemand nicht in der Lage ist, mit sehr schweren Lebenssituationen wie Geldproblemen, Trennungen oder chronischen Krankheiten und Schmerzen fertig zu werden“. Zudem seien „Suizidraten am höchsten in Bevölkerungsgruppen, die diskriminiert werden, wie Geflüchtete, Migrant*innen, Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender und Intergeschlechtliche sowie Gefängnis-Insassen“.

Nach der aktuellen Auflistung der Innenbehörde hatten 88 Prozent der Suizidierten eine deutsche oder eine doppelte Staatsangehörigkeit. In fünf Fällen konnte die Polizei keine Staatsangehörigkeit ermitteln.

Im Oktober hatte der Chefarzt der Bremer Ameos-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Uwe Gonther, in einem Radio-Bremen-Interview einen runden Tisch zur Suizidprävention gefordert: „Hier könnten Psychiater, Psychotherapeuten, Seelsorger und Medien zusammenkommen und sich zum Umgang mit dem Thema beraten.“

Die Senatorin für Gesundheit, Claudia Berndhard (Die Linke), sagte dazu: „Suizidprävention ist ein wichtiges Thema, aber auch eine Frage von Ressourcen und finanziellen Realisierungsmöglichkeiten in einem Bundesland mit sehr angespannter Finanzlage.“ An einem runden Tisch würde sie sich „beteiligen“.

Bei akuter Not: Notruf 112. In Krisen ist rund um die Uhr die Telefonseelsorge unter ☎ 0800-111 01 11 und ☎ 0800-111 02 22 erreichbar. Für Kinder und Jugendliche: Montag bis Samstag,14 bis 20 Uhr, Nummer gegen Kummer: ☎ 116 111

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