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Schillers Räuber sind los

Damit das Theater in die Welt kommt und die Welt ins Theater, sind junge Leute wichtige Partner. Am Deutschen Theater feiert das Junge DT sein 10-jähriges Bestehen mit Schillers Räubern

Zum Foto­shooting zogen die jungen DarstellerInnen der „Räuber“ in den Wald. Sieht nach Spaß aus, oder? Foto: Daniel Hundertmark

Von Linda Gerner

Mach die Bewegung nochmal größer. Das sieht man aus der letzten Reihe sonst nicht“, sagt Joanna Praml. Sie lässt sich neben Carl Jung auf einen Stuhl fallen. Wenige Sekunden später springt sie stürmisch auf. Sie schreit und artikuliert mit den Armen, um die Zerrissenheit des Räuberhäuptlings Karl Moor auszudrücken.

Der Blick des jungen Schauspielers Carl Jung folgt der Regisseurin konzentriert. Er mimt den Räuberhäuptling, durch Zufall ist er ein Namensvetter. Dann fällt von Regisseurin Praml zum wiederholten Mal der Satz: „Okay, nochmal die Szene, von Beginn an.“ 15 Jugendliche stellen sich vor ein auf Bierkisten drapiertes rotes Tuch. Probenbesuch in der Räuberhöhle vom Jungen Deutschen Theater.

Das Spielzeitmotto im Jahr des 10-jährigen Bestehens lautet: „Rage – egal.“ Wut und Anarchie dürfen auf die Bühne gebracht werden, und wie ginge das besser als mit einer Inszenierung von „Die Räuber“? An diesem Dienstag feilt das Ensemble aus Laienschauspieler*innen bereits den ganzen Tag an der Adaption von Friedrich Schillers Erstlingswerk. Premiere hat die Inszenierung am 11. Februar. Ein Stück im Stück wird es sein. Schiller trifft auf die Lebenswirklichkeit von jungen Ber­li­ner*innen, die Schiller inszenieren wollen, verrät Praml.

Für die intensiven Probenarbeiten sind die noch schulpflichtigen Schauspieler*innen in dieser Woche vom Unterricht befreit. Gerade probten sie Szenen ziemlich weit hinten im Stück, berichten die jungen Leute.

Zum Räuber-Ensemble gehört auch die 19-jährige Marie Eick-Kerssenbrock. Groß, kurzgeschorene Haare: Sie spielt Karl Moors Braut Amalia. Für die Produktion am Jungen DT ist sie von Düsseldorf nach Berlin gezogen. Ab März wird sie in Salzburg Schauspiel studieren, um ihren Wunschberuf weiter voranzubringen. Die Arbeit am Berliner Theater empfindet sie als „professionell, aber trotzdem sehr herzlich“. Das Regieteam schaffe es trotz des großen Ensembles, mit den Einzelnen intensiv zu arbeiten, sagt sie: „Es wird versucht, das Beste aus der Gruppe herauszuholen.“

Die Bühne der Profis

Die Schauspielerin wirkt das erste Mal am Jungen DT mit. Viele der anderen Jugendlichen haben zuvor in einem der zwei Jugendclubs, die einmal wöchentlich im Haus stattfinden, bereits Theaterluft geschnuppert. So etwa Oskar von Schönfels, für den „Die Räuber“ seine dritte große Produktion ist. Entspannt sitzt er am Rand und wartet auf eine Szene, in der er wieder einen Einsatz hat. Er ist vierzehn Jahre alt und das jüngste Ensemble-Mitglied. Theater spiele er schon seit knapp fünf Jahren, erzählt er.

Auf eine doppelt so lange Zeit am Jungen DT kann die Leiterin Birgit Lengers zurückblicken. Nach der Übernahme der Intendanz von Ulrich Khuon am Deutschen Theater bewarb sie sich initiativ auf diese Stelle. In den letzten Jahren habe sich ihre Arbeit beim Jungen DT vom aktiven Unterrichten, etwa von Schulklassen, immer mehr zur Projektplanung verschoben, erzählt die Frau mit blondem Kurzhaarschnitt. Ihr erstes Projekt am Jungen DT hat unter dem Leitmotiv „Rein und raus“ gestanden. Die jungen Schauspieler*innen haben dabei in Inszenierungen ihre neue Nachbarschaft kennengelernt und in der Charité, im Naturkundemuseum und im Regierungsviertel gespielt. „Unser Ziel war von Beginn an, das DT und das Junge DT miteinander zu verweben“, sagt Lengers.

Nach anfänglichem Argwohn im eigenen Haus – „Warum sollen plötzlich Jugendliche ohne Theatererfahrung auf der gleichen Bühne stehen wie ein Ulrich Matthes?“ – sei das Junge DT inzwischen fest etabliert. Die Stücke mit den Jugendlichen werden wertgeschätzt, sagt Lengers.

Einen amateurhaften Eindruck macht die Probe von „Die Räuber“ auch nicht. Die Jugendlichen sind textsicher, haben professionellen Elan, zeigen große Spielfreude. Vielleicht hoffen einige von ihnen zukünftig öfter auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“, – das Schiller-Zitat fällt auch im Stück – zu stehen. Ein Startpunkt für die gewünschte Schauspielkarriere kann der Jugendclub des Jungen DT sein. So lief es etwa bei der 1995 geborenen Maike Knirsch. Nach ihren Auftritten am Jungen DT nahm sie das Schauspielstudium an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin auf. Seit der Spielzeit 2017/2018 ist sie festes Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater.

In dieser Spielzeit trug das Junge DT die Stücke in knapp 50 unterschiedliche Schulen

Als eine Art Ausbildungsstelle verstünde sich das Junge DT aber nicht, sagt Lengers: „Ich bin mehr damit beschäftigt, Leute von diesem Wunsch abzubringen.“ Es sei ein großartiger Beruf, aber für wenige Leute: „Es ist ein hartes Feld. Man muss sehr begabt sein, sonst wird man schnell unglücklich.“ Natürlich wolle sie junge Leute für das Theaterspielen begeistern. Sie versuche Jugendlichen aber zu vermitteln, dass sie sich beruflich viele Dinge erfüllen können. Dem Jungen DT gehe es bei der Besetzung seiner Stücke daher auch weniger um Schauspielerfahrung: „Uns ist wichtig, dass die Jugendlichen Lust haben, sich mit dem Thema des Stückes auseinanderzusetzen“, sagt Birgit Lengers.

Mehr Zugänge erschließen

Auch sei dem Jungen DT Diversität ein Anliegen, sagt die Leiterin: „Wir wollen nicht, dass eine junge Variante des DT-Ensembles auf der Bühne steht, sondern auch mal welche, die sonst nicht Theater spielen und mehr Berlin abbilden.“ Neben den Jugendclubs gibt es thematische Theaterferiencamps für Schüler*innen.

Durch mobile Klassentheaterstücke versuchen sie eine weitere Brücke zu ihrem Publikum zu schlagen: „Indem wir exklusiv für Schulklassen spielen, wollen wir das Vorurteil abbauen, dass Theater etwas Elitäres ist“, so Lengers. Die aktuellen Stücke sind „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ von Sibylle Berg und „Rage“, eine gemeinsame Stückentwicklung, in der es um das Lebensgefühl und die politische Haltung junger Menschen geht. In dieser Spielzeit trug das Junge DT diese beiden Stücke in knapp 50 unterschiedlichen Schulen vor – von Marzahn über Köpenick nach Spandau und Friedrichsfelde und bis Mühlenbeck in Brandenburg. Die Klassenzimmerstücke wurden auch am Bodensee und in der Ukraine, in Kiew und ostwärts bis Mariupol, gespielt.

Durch den Dialog und die gemeinsamen Arbeitsprozesse mit Jugendlichen könnten ihre Stücke stärker die Lebensrealität ihres Publikums abbilden, sagt Lengers: „Was wäre so ein Haus ohne diese Perspektive? Das Theater soll sich ja nicht um sich selbst drehen, sondern um die Welt.“

„Die Räuber“, Deutsches Theater. Premiere: 11. 2., 19 Uhr, wieder am 14. und 19. 2.

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