piwik no script img

Der „Meisterdenker“ der Grünen

Begriffe müssen neu definiert und neue Bündnisse geschlossen werden, erklärt der Soziologe Armin Nassehi. Er kommt zum taz lab

Von Peter Unfried

Der Münchner Soziologieprofessor Armin Nassehi hat seit dem letzten Jahr die Führung unter den deutschen Intellektuellen übernommen. Das ist eine subjektive Einschätzung, klar, aber ich kann sie begründen. Er hat – dankenswerterweise in der taz – eine Blaupause geliefert, wie die nächste Bundesregierung doch noch vorwärtskommen kann. Die ungelöste Frage lautet ja nicht, was alles Tolles passieren muss, sondern wie das geht, nachdem die komplexen Folgen der Moderne politisch nicht mehr mit den alten Differenzierungen der Parteien bearbeitet werden können. „Es geht eben nicht darum, linker zu werden, auch nicht rechter zu werden, denn im Prinzip führen diese Bewegungen weg von dem Problem“, sagt Nassehi. Es geht auch nicht darum, „Schnittmengen“ mit Gleichdenkenden zu finden, wie im alten Denken. Es geht darum, Allianzen der Ungleichen zu schließen, mit Leuten, die anders denken und etwas anderes können, vor allem auch Unternehmer. Das ist hart für klassische Linke, und deshalb dürfte das Gespräch mit Nassehi auf dem taz lab besonders spannend werden.

Nassehis Vorschlag: „Denkt über Bündnisse von Akteuren mit unterschiedlichen Systemlogiken nach. Gründet Orte dafür, Foren, in denen sich die unterschiedlichen Logiken gegenseitig verunsichern können und wo auch die Übersetzungskonflikte hart ausgetragen werden können.“

Der philosophische ­Stichwortgeber der Macht

Es stimmt, dass Eckdaten seines Denkens in einem informellen Papier stehen, das er für Politiker der Grünen verfasst hat, weshalb er von der Zeit zum „Meisterdenker“ dieser Partei ausgerufen worden ist. In der Welt hieß es, was Habermas für die SPD und Luhmann für die CDU gewesen sei, das sei nun Nassehi für die Grünen. Der philosophische Stichtwortgeber der Macht. Nassehi verschaffe den theoretischen Überbau „jener Partei, die insgeheim davon träumt, die neue CDU zu sein“.

Nun träumt aber doch gerade die CDU davon, die neue CDU zu sein, insofern sollte sie sich schleunigst auch mit Nassehi auseinandersetzen (was sie auch tut). Es geht explizit nicht um „grüne“ Politik, also emanzipatorische Minderheitenpolitik, es geht darum, dass die künftige Orientierungspartei der bundesdeutschen Gesellschaft eine Richtung und einen mehrheitsfähigen Rahmen vorgeben muss, in dem sie die unterschiedlichen Systeme moderierend dazu bringt, innerhalb ihrer Logiken Zukunft zu erfinden.

Es kommt ja eben nicht das Grüne Zeitalter, sondern eine Zeit, in der die fortgeschrittene Liberalisierung durch Regulierung verbessert werden muss. Das bedeutet zum einen die sozialökologische Ordnungspolitik als richtungsweisende Kraft der anstehenden Transformation.

Begriffe müssen neu ­definiert werden

Es bedeutet aber auch eine Kultur, die den Einzelnen wieder mit dem Allgemeinen verknüpft. Das geht nicht mehr, indem man zusammen die Internationale schmettert und auch nicht, indem Markus Söder Kreuze aufhängt.

Man muss das politisch bearbeiten, was Nassehi „konservative Bezugsprobleme“ nennt. Und die alle haben, nicht nur Konservative. Obwohl der Begriff eben auch einer Neudefinition bedarf oder nicht mehr verwendet werden kann, genauso wie „links“ und „progressiv“. Die Ehe für alle ist zum Beispiel die Lösung für ein konservatives Bezugsproblem (soziale und kulturelle Sicherheit und Zugehörigkeit) und „progressiv“ sind im Moment die Populisten, denn sie wollen das Bestehende überwinden, also unsere liberale Demokratie.

Nassehi hat außerdem kürzlich mit „Muster“ (C. H. Beck) eine neue Theorie der digitalen Gesellschaft vorgelegt. Diese besteht darin, dass sich die Gesellschaft nach Aufklärung und Post-68er-Liberalisierung in der Digitalisierung zum dritten Mal und auf eine neue Art entdeckt. Es gibt viel zu besprechen mit Armin Nassehi, der am Sonntag in einer Woche 60 wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen