: Blaue Wirbel und tiefe Trichter
In der Galerie Kajetan Berlin gehen in den Zeichnungen und Teppichen von Haleh Redjaian die Linien und Raster, die Ordnung und die Abweichung in ein vielfältiges Spiel ein, das geduldiges und genaues Hinsehen erfordert
![](https://taz.de/private/picture/5655732/516/991348.jpg)
Von Katrin Bettina Müller
Über drei Jahre hat Haleh Redjaian an „Broken Arow“ gearbeitet, einer großen Zeichnung auf Papier, mit Graphit und Aquarellfarben. Die blauen Farbtöne und die Struktur aus vielen Rauten lassen an Keramiken denken und an die Muster persischer Kacheln, zugleich ist es ein Spiel mit Rastern, Verschiebungen, von Ordnung und Unregelmäßigkeit. Ein Keil schiebt sich von rechts über die Fläche des Papiers, der Untergrund selbst ist schon mit feinen Linien gerastert. Es gibt Symmetrien und ihre Verschiebung, Genauigkeit und ihre Auflösung. Wie weggewaschen wirkt das Bild im unteren Teil.
„Some Things Last a Long Time“ heißt die Ausstellung von Haleh Redjaian bei Kajetan Berlin in der Gneisenaustraße. Dass die 1971 in Frankfurt geborene und heute in Berlin lebende Künstlerin sich zu Elementen der Kultur des Iran in Beziehung bringen will, dafür spricht auch das Medium der Teppiche, das sie nutzt. Sie lässt nach ihren Entwürfen kleine Teppiche im Südiran weben, die sie dann hier weiter bearbeitet, teils mit Lithografien bedruckt, teils mit einer hauchdünnen Zeichnung aus Linien beziehungsweise aus darüber gespannten Fäden überzieht, weiß, farbig und golden. Man muss genau hinschauen, es dauert, bis man das entdeckt. Wie der Titel sagt, „Some Things Last a Long Time“.
Scheinbar Fahnenund Firmenlogos
Unter dem Titel „No Flag“ gruppieren sich einige dieser kleinen (40x30 cm) Textilarbeiten an einer Wand. Tatsächlich erinnern sie mit Streifen, Feldern und Balken an Fahnen und Firmenlogos, nationale und kommerzielle Zeichen, aber schon das Format und die stoffliche Weichheit unterlaufen das repräsentative Element. Manche Formen lassen an Architektur und Grundrisse denken, Aufsicht und Ansicht, einen Wechsel der Perspektive. Die Fadenzeichnung darüber ist wie eine zweite Melodie, ein Flirren und Summen über dem regelmäßigen Takt des Webstuhls. Einmal imitieren die Fäden über einem „No Flag“ sogar einen Trompe-l’œil-Effekt, schlagen einen Haken, als ob sie sich im Raum verwirbeln könnten.
Tatsächlich können sie das, wie in einer Nische der Galerie überraschend sichtbar wird. Dort sind mithilfe von 1.000 Nägeln Fäden zwischen den Wänden gespannt, die zwei ineinander gedrehte Flächen bilden. Je nach Standpunkt verdichten sich die Fäden zu einer tiefblauen Fläche, einem Trichter oder sie zeigen sich von weiter weg als spinnwebenzarte raumgreifende Verspannung.
Jörg van den Berg
In einem Katalog zu einer früheren Ausstellung von Haleh Redjaian im Kunstverein Bregenz haben die Autoren Jörg van den Berg und Wolfgang Fetz neben die Abbildungen genaue sprachliche Beschreibungen beziehungsweise Versuche genauer Beschreibungen gestellt, um deren Vergeblichkeit vorzuführen. Man kann die Linien zählen, die mit dem Lineal gezogen wurden, man kann ihre Richtungen und geometrischen Figuren benennen und die kleinen Abweichungen, aber die Komplexität und die Anmutung entzieht sich dabei wieder. Was dabei aber entsteht, ist ein Bild des Arbeitsprozesses selber, der Geduld und der Zeit dabei. Jörg van den Berg bringt das in das schöne Bild der „Demut der Arbeit an der stetigen Wiederholung des Nie-Gleichen“. Das ist es tatsächlich, was einen hier anfasst. Man stellt sich meditative Versenkung und Konzentration vor, aber auch Gelassenheit, mit der Störungen und Unterbrechungen begegnet wird.
Die Galerie eröffnete 2018
Tobias Posselt hat die Galerie Kajetan Berlin im November 2018 in den Räumen eines vormaligen Künstlerateliers eröffnet. Haleh Redjaian passt mit ihrer Genauigkeit und der Feinheit, die eine besondere Aufmerksamkeit herausfordert, gut in das bisherige Programm der Galerie. Man könnte denken, dass die Ausstellung auf einem langfristigen Kontakt zu der Berliner Künstlerin beruht, tatsächlich ist Tobias Posselt vor noch nicht so langer Zeit über Instagram auf sie aufmerksam geworden. Viele Künstler nutzen diese Nachrichtenform, um ihre Arbeiten zu zeigen, sich über den Prozess im Atelier auszutauschen, Kollegen über die Schulter zu schauen. Mich hat das überrascht, als mir eine Malerin davon erzählte – ist doch der schnelle Blick auf das Smartphone irgendwie auch das Gegenteil einer das langsame Sehen herausfordernden Kunst.
Haleh Redjaian, Kajetan Berlin, Gneisenaustraße 33, Mi.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 12–16 Uhr, bis 8. Februar
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