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Erst verleumdet, dann verzerrt

Hitlerattentäter Georg Elser: Eine Studie untersucht Grotesken der Erinnerungspolitik

Matheus Hagedorny: „Georg Elser in Deutschland“. ça-ira-Verlag, Wien 2019, 140 Seiten, 12 Euro

Von Fabian Weber

Am Georg-Elser-Platz in der Münchner Maxvorstadt erinnert eine 2009 eingeweihte Lichtinstallation an den schwäbischen Kunstschreiner, dessen selbst angefertigte Bombe am 8. November 1939 nur um 13 Minuten Adolf Hitler verfehlte. In einem Café am Platz ließ sich bis vor Kurzem das Frühstück „Georg Elser“ bestellen. Ob dieses mangels Nachfrage eingestellt wurde oder nicht doch die Einsicht aufblitzte, dass sich eines im KZ Dachau gefolterten und ermordeten Antifaschisten nicht angemessen mit Wacholderschinken, Gouda und kleinem Rührei gedenken lässt, muss offenbleiben.

Die Erinnerung an die NS-Geschichte bleibt eine zu übende Disziplin: Jüngst etwa hat das Zentrum für Politische Schönheit in KZ-Nähe entnommene Bodenproben in eine Säule aus Klarsichtharz gepresst und vor dem Bundestag aufgestellt. Es bedarf offenbar derlei Geschmacklosigkeiten, um auf die Kooperation bürgerlicher Parteien mit der NSDAP hinzuweisen. Noch als Tote sind die Opfer des NS nicht sicher vor der Erinnerung, die man ihnen antut.

Das zeigt gerade das Beispiel Elser, wie Matheus Hagedorny in seiner Studie über die Elser-Rezeption darstellt. War in den ersten Nachkriegsdekaden keinerlei Erinnerungspolitik mit dem proletarischen Bombenbastler möglich, ist er heute in das „Walhalla der deutschen ­Demokratie“ eingemeindet. Seit den frühen 2000er Jahren erfährt Elser einen regelrechten Erinnerungsboom. Straßen werden nach ihm benannt, ihm ist ein fester Platz in den Gedenkstätten des NS-Widerstands eingeräumt, und von staatlichen Instanzen erfährt er nachholende Anerkennung. An Elser erinnern heute mehr Denkmäler als an Stauffenberg.

Den Motiven dieser Entwicklung geht ­Hagedorny in einer hochdifferenzierten und flüssig lesbaren Untersuchung nach. Er untersucht, wieso Elser erst verdrängt, dann verleumdet und schließlich einer verzerrenden Erinnerung anheimgefallen ist.

Er kritisiert das Unterfangen, Elser „als Ausnahmegestalt einer lange schon abgeschlossenen Nationalgeschichte [einzuführen], auf die die nachgeborenen Deutschen mit Behagen zurückblicken können – und sollen“. Hagedorny legt dar, wie Elser für eine unhistorische Traditionsbildung eines „anderen Deutschlands“ benutzt wird, um Elsers Tat von ihrer eigentlichen Motivation zu trennen.

Der Attentäter Elser, so die These, wird dabei entpolitisiert. Elser sah einen heraufziehenden Krieg und entschloss sich zu handeln. Dabei begriff er Hitler keineswegs als schlicht zu beseitigenden Tyrannen, um Deutschland wieder ins rechte Lot zu rücken; Elser ging von einer tiefen Verankerung des NS in Deutschland und dem flächendeckenden Rückhalt des NS-Staates unter den Deutschen aus.

Sosehr die Integration Elsers in das „nationale Mausoleum“ überraschen mag, weitaus erstaunlicher ist die überwältigende Nichtbeachtung Elsers in der Linken. Das gilt sowohl für die DDR als auch die bundesdeutsche Linke, die sich bis heute mit einer Würdigung schwertut. Es handelte sich bei Elser immerhin um einen gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, der während seines Fluchtversuchs den Anstecker des Roten Frontkämpferbundes am Revers trug – „aus alter Erinnerung“, wie er im Gestapo-Verhör zu Protokoll geben sollte. Falsche Faschismusanalysen, die von der Komintern gedämpfte antifaschistische Arbeit im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes und ein ungebrochen positiver Volksbegriff in der NS-Interpretation der DDR ließen sich mit dem Bombenattentat im Bürgerbräu-Keller kaum in Einklang bringen, wie Hagedorny nachzeichnet.

Georg Elser gilt es heute nicht der Vergessenheit, sondern der falschen Erinnerung zu entreißen. Diesem Anspruch wird Hagedornys Buch gerecht, indem es diverse Ansätze kritisiert, Elsers Tat in einen sinnstiftenden Traditionszusammenhang einzubetten, und Unterfangen dieser Art als identitätspolitische und unhistorische Vereinnahmungen denunziert. Hagedorny beharrt folgerichtig darauf, dass Elser eben keine unmittelbare Vorbildfunktion für heute besitzt. Eines seiner Beispiele verdeutlicht besonders markant, dass politische Traditionslinien nahezu willkürlich gezogen werden können und die Ausblendung des historischen Kontextes ins Groteske münden kann.

Die verdiente Münchner Elser-Initiative um Hella Schlumberger verlieh 2011 einen Elser-Preis an Dietrich Wagner, „stellvertretend für alle sogenannten ‚Wutbürger‘“, und lässt Elser als Ikone des zivilen Ungehorsams hochleben. Wagner, der durch das polizeiliche Vorgehen im Zuge der Stuttgart21-Proteste seine Sehkraft weitestgehend verlor, wetterte in seiner Preisrede gegen „amerikanische Besatzer“ und weiß obendrein den Stuttgarter Polizeieinsatz als „drittschlimmstes Verbrechen der deutschen Geschichte“ einzustufen; schlimmer sei nur noch der Holocaust gewesen.

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