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Neue Töne, alter Streit

Der Glockenturm in Potsdam wächst – doch der Streit über den Wiederaufbau der Garnisonkirche ist nicht beigelegt. Die einen wollen, dass das umstrittene Glockenspiel wieder angestellt wird, andere bezweifeln nach wie vor die Sinnhaftigkeit des ganzen Unternehmens

1945 bei einem Luftangriff ausgebrannt, wurde die Ruine 1968 auf SED-Befehl gesprengt: die Garnisonkirche 1932 Foto: Willy Römer/bpk

Von Marco Zschieck

Stein auf Stein wächst in Potsdams Innenstadt etwas in die Höhe, das für die einen die Komplettierung der Stadtsilhouette ist, für andere ein Stein gewordener Stachel. Der wiederaufgebaute Turm der Garnisonkirche soll mit seinen 88 Metern Höhe bald wieder die Skyline der Brandenburger Landeshauptstadt prägen und ein Versöhnungszentrum beherbergen. Die Diskussion über den umstrittenen Sakralbau ist damit allerdings alles andere vorbei. Sie bekommt gerade neuen Schwung.

Die Garnisonkirche ist schließlich nicht irgendeine Kirche: Die Gebeine preußischer Könige lagen hier begraben, Waffen für Preußens zahlreiche Kriege wurden hier gesegnet. Am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, tagte der neu gewählte Reichstag, vor der Tür gaben sich Reichspräsident Paul von Hindenburg und Kanzler Adolf Hitler die Hand. Die Kirche ist das Symbol für die Allianz von preußischem Militarismus und Nationalsozialismus.

Am 24. Januar sollen sich Gegner und Befürworter mal wieder so richtig die Meinung geigen. Dass es zur Einigung führt, ist eher unwahrscheinlich. Denn die Ziele beider Seiten schließen sich gegenseitig aus.

Dass seit diesem Jahr frischer Wind in die Debatte gekommen ist, hängt auch mit Potsdams seit rund einem Jahr amtierenden neuen Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) zusammen. Anders als sein Vorgänger Jann Jakobs nahm er den Sitz im Kuratorium der Wiederaufbaustiftung nicht ein – und ging so symbolisch auf Distanz zu dem Projekt.

Fall für die Justiz

In der vergangenen Woche sollte sich ein Kritiker des Projekts vor dem Potsdamer Amtsgericht wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung verantworten. Dem ehemaligen Stadtverordneten der linksalternativen Wählergruppe „Die Andere“ war vorgeworfen worden, Ende Oktober 2017 einen Gottesdienst auf dem Areal der Kirchturmbaustelle gestört zu haben. Gegen die Feier zum Baustart hatten rund 75 Gegner teilweise lautstark protestiert. Der Prozess platzte, weil das Gericht einen zu kleinen Saal und trotz drei geplanter Zeugenaussagen nur eine halbe Stunde reserviert hatte. Neuer Termin ist der 26. März.

In nächster Zeit stehen nach Angaben der Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche weitere Aufbaugegner vor Gericht. Die Vorwürfe reichen von Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bis Körperverletzung. (mar)

Ein weiteres, akustisches Signal gab es im Sommer. Da ließ Schubert mit Zustimmung der Wiederaufbaustiftung das rund 200 Meter entfernt aufgestellte Glockenspiel abschalten. Zuvor hatten rund 100 Künstler, Wissenschaftler und Architekten in einem offenen Brief auf den problematischen Inhalt der Inschriften auf dem Geläut hingewiesen, das die „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“ unter dem Ex-Oberstleutnant Max Klaar 1991 aufstellen ließ. Seitdem bimmelte es im Halbstundentakt abwechselnd „Üb’ immer Treu und Redlichkeit“ und „Lobe den Herrn“.

Auf einer der Glocken ist der lateinische Spruch „Suum cuique“ graviert, auf Deutsch „Jedem das Seine“. Diese Losung findet sich auch am Haupttor des Konzentrationslagers Buchenwald. Klaar war einst Vorsitzender des Verbands deutscher Soldaten, der bis zu seiner Selbstauflösung für die Amnestierung von wegen Kriegsverbrechen verurteilten Angehörigen der Wehrmacht kämpfte.

Das war dann auch der Wiederaufbaustiftung zu viel: Der Chef ihres wissenschaftlichen Beirats, der Berliner Historiker Paul Nolte, kam zu dem Urteil, das Glockenspiel sei „aus heutiger Sicht historisch-politisch unzumutbar“ und maximal noch als Museumsstück zu gebrauchen. Es stehe im Kontext revisionistischer und militaristischer Bestrebungen, die nach der deutschen Einheit und erst recht im Jahre 2019 als überwunden gelten müsse.

Die Stadt will trotzdem noch mal wissenschaftlichen Rat einholen, wie mit dem Geschenk umzugehen sei. Derzeit läuft die Abstimmung mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) zur Übernahme der Untersuchung. Mit einem Ergebnis wird nicht vor dem zweiten Quartal 2020 gerechnet. So lange bleiben die Glocken stumm.

Die Stille sorgte für gemischte Reaktionen. Mitglieder der benachbarten Nikolai-Gemeinde, Barockfans der Initiative Mitteschön, der CDU und AfD trafen sich mehrfach zum sonntäglichen Protestsingen. Die Satire-Partei Die Partei wiederum forderte die Wiederinbetriebnahme des Glockenspiels, um in Zukunft dort den Song „Schrei nach Liebe“ erklingen zu lassen.

Auf einer der Glocken ist „Suum cuique“ graviert: „Jedem das Seine“

Der Streit hat durchaus eine bundespolitische Komponente. Denn anders als ursprünglich gedacht hätte die Stiftung niemals allein mit Spendengeld den Bau beginnen können. Das floss einfach zu spärlich, um die 40 Millionen Euro zu erreichen, die allein für den Turm in historischer Optik nötig wären. Doch 2013 sagte der Bund unvermittelt 12 Millionen Euro Fördermittel zu, weil der Wiederaufbau ein „Projekt von nationaler Bedeutung“ sei. Später wurde der Betrag noch einmal aufgestockt, um gestiegene Baupreise abzufangen.

Nun gab es sogar noch einen Nachschlag: Mitte November nahm der Haushaltsausschuss einen entsprechenden Antrag von Union und SPD an. Weitere 2,25 Millionen Euro aus Steuergeldern dürfen nun bis 2021 für den Kirchturm ausgegeben werden. Mittlerweile kommt also mehr als die Hälfte der erwarteten Kosten für den Bau direkt aus der Staatskasse.

Ist der Turm einmal fertig, soll er ein neues Glockenspiel bekommen. Ein sogenanntes Friedenscarillon aus 51 Glocken soll dann erklingen, und zwar in „gemilderter, mitteltöniger Stimmung“, wie die Garnisonkirchenstiftung kürzlich nach einer Sitzung ihres Kuratoriums mitteilte. An der Erarbeitung der inhaltlichen Konzeption für das Glockengeläut werde sich der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, beteiligen. Er gehört ohnehin dem Stiftungskuratorium an.

Geläut mit problematischen Inschriften, 1991 aufgestellt Foto: Ralf Hirschberger/picture-alliance

Eine große Frage ist allerdings noch unbeantwortet: Was soll aus dem Kirchenschiff werden? Für dessen mit mindestens 120 Millionen Euro veranschlagten Wiederaufbau fehlt der klammen Stiftung das Geld. Und die evangelische Kirche hatte als Bedingung für ihre Unterstützung beim Turmbau auch einen klaren architektonischen Bruch gefordert. Eine originalgetreue Rekonstruktion ist also vom Tisch.

Schubert kam nun mit einem ganz neuen Vorschlag: Er brachte statt eines Kirchenschiffs ein internationales Jugendbegegnungszentrum ins Spiel. „Es geht darum, einen Ort neu zu schaffen, an und in dem jungen Menschen vermittelt wird, was Demokratie ausmacht, was Demokratie gefährdet und wie Demokratie gefestigt werden kann“, schrieb Schubert in einem Gastbeitrag in den Potsdamer Neusten Nachrichten. „Gerade weil dieser Ort eine sperrige und unbequeme Vergangenheit aufweist, erscheint er prädestiniert für die bildungspolitische Arbeit mit jungen Menschen.“

Wiederaufbaukritiker können sich schon am 16. Januar ein bisschen warmlaufen für die große Vollversammlung acht Tage später. Die Martin-Niemöller-Stiftung lädt in Kooperation mit dem Potsdam Museum zu einer Podiumsdiskussion zwischen Gegnern und Befürwortern des Glockenspielabbaus ein. Vorher gibt es einen Vortrag des Architekturprofessors Philipp Oswalt unter dem Titel „Das Potsdamer Glockenspiel. Rechtsradikale Einschreibungen in das Projekt der Garnisonkirche Potsdam“.

16 Januar, 18 Uhr im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9. Der Eintritt ist frei. Für die Diskus­sion am 24. Januar wurde noch kein Veranstaltungsort veröffentlicht

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