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Nichts weniger als die Ewigkeit

Neujahrskonzert 1: In der Volksbühne traten am Mittwochabend zunächst Stella Sommer mit eherwinterlichen Stimmungsstücken und dann Fabian Altstötter ziemlich rumpelig und düster auf

Stella Sommer am Mittwochabend in der Volksbühne live in concert Foto: Roland Owsnitzki/Votos

Von Jan Jekal

Es ist ironisch, dass Stella Sommer die hellste, wärmste Jahreszeit im Namen trägt. Ihre Lieder sind winterliche Stimmungsstücke, mit getragener Grabesstimme kühl gesungene Elegien. Sonst singt sie in der nicht weniger morbiden Gruppe Die Heiterkeit (apropos Ironie!), aber am Mittwochabend, am Neujahrsabend, tritt sie solo mit Begleitband in der Volksbühne auf und eröffnet den gemeinsamen Konzertabend mit Jungstötter.

Ihr Album „13 Kinds of Happiness“ hat 13 Lieder; jedes Stück beschreibt also, könnte man meinen, eine Art, glücklich zu sein. Aber so wie Sommer winterlich ist, sind ihre Lieder übers Glücklichsein traurig, sind 13 Memento mori, die sie an diesem Abend zum ersten Mal auf der Bühne spielt. Sie heißen etwa „Dark Princess, Dark Prince“, „Birds of the Night“ oder „We Love You to Death“. Mit ihrer Band Die Heiterkeit singt Sommer auf deutsch, das Englisch der Solostücke nimmt ihren schweren Liedern ein wenig Gewicht. Englisch ist die Sprache des Pop, und der unterwirft sich den Tod, ein paar Minuten lang.

Ihre Lieder seien nicht für kleine Bühnen geeignet, sagte Sommer neulich im Interview, wieder ironisch, denn auf die großen Bühnen muss man erst einmal kommen, und das gelingt womöglich nicht, wenn man auf kleinen Bühnen Lieder für große Bühnen spielt. Die Volksbühne ist nun aber genau richtig, für Sommer wie für den nach ihr spielenden Fabian Altstötter. (Der sein Projekt Jung­stötter nennt – um ein letztes Mal über ironische Namen zu sprechen.) Beide singen hochgradig artifiziell, haben sich Manierismen angeeignet, die im häufig hemdsärmelige Authentizität signalisierenden Indie-Kosmos bemerkenswerte Ausnahmeerscheinungen sind.

Sommer singt im tiefstmöglichen Register, nimmt eine Pose der Unnahbarkeit ein, während Altstötter, der im Gegensatz zur sachte schunkelnden Sommer unruhig über die Bühne tigert, das Kabel seines Mikrofons unaufhörlich auf- und abrollend, ein dramatisches Timbre annimmt und sich einem kontrolliert zittrigen Klagegesang hingibt, dessen Vehemenz man entweder genießt oder nicht erträgt.

Ihr Album „13 Kinds of Happiness“ hat 13 Lieder. Beschreibt jedes eine Art, glücklich zu sein?

Der große Saal der Volksbühne ist der bestmögliche Ort, um Sommer und Altstötter zu sehen, weil er zum aufmerksamen Hören einlädt, weil auch leise Momente, kleine Beiläufigkeiten, das Ausklingen und Nachhallen, hier gehört werden und nicht, wie in so vielen Berliner Clubs, vom Geklirre und Gemurmel an der Bar ruiniert werden. Sommers Sound wird häufig von einem Grundbrummen geerdet, ihr Schlagzeuger steht mehr an einer großen Trommel, deren dumpfer Ton den Takt gibt, als dass er hinter seinem Kit sitzt. Der Drummer von Jungstötter spielt beckenreich, touchiert alles, spielt Beats, die auseinanderzufallen drohen und gerade noch zusammengehalten werden. Jungstötter ist rumpelig und düster, Sommer ist meditativ und düster. Sie spielen nacheinander, stehen nicht gemeinsam auf der Bühne, dabei wäre ein Duett sicher reizvoll, so groß sind ihre Gemeinsamkeiten wie Unterschiede. Beide sind unzeitgemäße Figuren, oder eher zeitlose Figuren, deren Musik auf naheliegende Referenzpunkte verweisen lässt (Nick Cave im Fall Jungstötter, Nico im Fall Sommer), welche allerdings selbst in der Pop-Geschichte eine aus der Zeit gefallene Sonderstellung einnehmen.

Wenn dann Sommer ein „Frohes neues“ wünscht oder Alt­stötter eine „Frohe neue Dekade“, mutet die Erwähnung des Jahres- bzw. Jahrzehntwechsels banal an, scheint es ihnen in der Musik doch um nichts weniger als die Ewigkeit zu gehen. Sommer kommt vom Meer, aus einem Urlaubsort an der Nordsee, und die Nähe zur See, die Blicke in die Ferne meint man in ihren sehnsuchtsvollen Liedern zu erkennen. Ähnlich Altstötter, der sich mit seinen raumgreifenden Manierismen zur romantischen Figur stilisiert, der daherkommt wie ein durch finstere Landschaften wandelnder Wanderer, von einer Sehnsucht geplagt, deren Ziel er kaum bestimmen und sicher nicht erreichen kann.

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