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Pott bleibt englisch

Mit dem 2:2 gegen Freiburg beendet Schalke die Hinserie mit Fußball, wie er sein soll. Auch SC-Trainer Streich ist begeistert

Aus Gelsenkirchen Daniel Theweleit

Wie immer waren Christian Streichs Worte eingefärbt mit diesem speziellen badischen Idiom, als er zum Abschluss des Jahres zu einer kleinen Liebeserklärung an das Ruhrgebiet anhob. „Ich habe noch nie hier gelebt, aber es ist etwas Besonderes hier. Ich merke das, ich bin gerne hier“, sagte der Trainer des SC Freiburg nach dem 2:2 beim FC Schalke in Gelsenkirchen.

Streich war beeindruckt von der Reaktion des Publikums auf den Tod eines Fans, der vorige Woche auf dem Weg zum Auswärtsspiel nach Wolfsburg verstorben war. Vier Minuten lang wurde geschwiegen, große Transparente erinnerten an den 41 Jahre alten Mann, die Nordkurve hüllte sich ganz in Schwarz. Es waren Augenblicke, in denen neben der Trauer auch dieser wärmende Zusammenhalt der Bergleute zu spüren war. Aber Streich meinte nicht nur den Trauerakt, er war fasziniert von einem ebenso niveau- wie stimmungsvollen Fußballnachmittag, an dem vieles ganz wunderbar zusammenpasste.

Denn der FC Schalke 04 hat nach vielen Jahren der Irrungen und Krisen und dem verkrampften Vorsatz, irgendwie zum BVB und zum FC Bayern aufzuschließen, zu sich selbst gefunden. Auch das ließ sich aus Streichs Erläuterungen heraushören, als er sich dem Fachlichen zuwendete. „Ein ganz tolles, begeisterndes Fußballspiel“, hatte Streich erlebt. Das heiße zwar nicht, „dass technisch alles auf allerhöchstem Niveau funktioniert“, aber „alle haben alles getan“, schwärmte der Trainer. „Es war brutal umkämpft und es war trotzdem fair. Das ist auch etwas, was besonders schön ist.“ Ruhrgebietsfußball aus dem Bilderbuch.

Zugleich ließen sich diese Erläuterungen indes als kleine Hommage an den englischen Fußball verstehen oder zumindest an das idealisierte Klischee der gefeierten Premier League. Es ist ein kleines Wunder, dass der Schalker Trainer David Wagner, der vor seinem Wechsel nach Gelsenkirchen in Huddersfield gearbeitet hat, den Revierklub in so kurzer Zeit so erfolgreich anglisiert hat. Mit Vorsatz, weil er der Überzeugung ist, dass dieser Stil perfekt zum Standort Gelsenkirchen passt. „Wir sind hier angetreten und haben gesagt: Wir möchten einen Fußball spielen, der von Intensität, von Emotionen, von Zusammenhalt von positiver Aggressivität geprägt ist. Wie die Jungs das gemacht haben, relativ konstant, relativ gut, das ist besonders.“

Schwer war’s, „auch außerhalb vom Rasen“, sagt David Wagner

Nun beendeten die Schalker das Fußballjahr als Tabellenfünfter. Sie haben in 17 Partien nur drei Punkte weniger gesammelt als in der gesamten Vorsaison, praktisch mit der gleichen Mannschaft und gebeutelt von allerlei Widrigkeiten: Verletzungen und den wochenlangen Unruhen, nachdem Aufsichtsratschef Clemens Tönnies mit rassistischen Äußerungen Debatten auslöste, die weit über den Sport hinaus reichten. Auch das erwähnte Wagner nach diesem herrlichen Fußballspiel zum Abschluss der Hinserie, „die alles andere als rosarot war“. Es habe „wahnsinnig viele Schwierigkeiten, sowohl innerhalb der Mannschaft als auch außerhalb vom Rasen“ gegeben, rief der Trainer in Erinnerung.

Womöglich trafen in Gelsenkirchen an diesem finalen Spieltag des Jahres die größten Überraschungsteams der Hinrunde aufeinander. Die Schalker, die sich beinahe ohne finanzielle Spielräume neu erfunden haben und jetzt genau den Fußball spielen, der dem traditionellen Selbstbild entspricht. „Man sieht dann immer wieder, dass es einfach nur eine Kopf­sache ist“, sagte Bastian Oczipka. „Wir haben uns komplett neu gesammelt im Sommer.“ Und die Freiburger, die derzeit mit den besten Fußball ihrer Bundesligageschichte spielen.

Auf dieser Grundlage wurde die Begegnung zu einem Jahresabschluss mit dem alle irgendwie zufrieden waren. Zunächst hatten die Schalker ein schönes Kontertor geschossen (Serdar, 26.), die Freiburger hatten mit zwei Elfmetertoren reagiert, (Petersen, 54., Grifo 67.) bevor Ahmed Kutucu der letzte Treffer des Jahres gelang (80.). „Ich könnte mich jetzt ärgern, dass wir das 3:1 nicht gemacht haben oder dass wir das 2:2 aufgelegt haben, aber da habe ich keinen Bock mehr drauf“, sagte Streich. „Ich bin sehr, sehr glücklich, wie die Jungs in der Vorrunde gespielt haben.“ Zwischenzeitlich hatten die beiden Trainer am Spielfeldrand schon emotional diskutiert, am Ende umarmten sie sich als Fußballlehrer, die mit guten Gründen sehr stolz auf ihr Werk sind.

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