: Imkern auf dem Balkon
SELBSTVERSORGUNG I Freizeit-Imker in der Großstadt halten Bienen artgerecht, schleudern ihren Honig selbst – und erschrecken manchmal die Nachbarn
■ Die Maße: Die fertige Bienenkiste ist 1,10 Meter lang, 48 Zentimeter breit und 26 Zentimeter hoch.
■ Das Material: Sieben Fichtholz-Bretter, 59 Leisten, sechs Spannverschlüsse, 76 Schrauben, rund 100 Nägel und 14 Wachsplatten als Grundlage für die Waben.
■ Eigene Arbeit: Ein-/Ausgang für die Bienen sägen, Bretter zusammenschrauben, Spannverschlüsse anbringen, außen streichen, Bienenschwarm vom Imker oder einer Schwarmbörse besorgen, fertig!
■ Fremde Arbeit: Die Bienen sammeln Blütennektar, bauen Waben und füllen diese mit Honig. Eine Bienenkiste bringt bis zu 20 Kilo Honig, für den die Bienen rund drei Millionen Kilometer fliegen.
VON BEATE SCHEDER
Bienenzucht mitten in der Stadt? Ist das denn nicht gefährlich? Überhaupt nicht: Die Idee verbreitet sich seit ein paar Jahren kontinuierlich. In New York, Paris und anderen Metropolen stehen Bienenstöcke auf Dächern von Hochhäusern, Einkaufszentren, Hotels und privaten Balkonen. In Deutschland gilt Berlin als Hochburg der neuen Freizeitimker. Denn in der Hauptstadt ist die urbane Vegetation besonders vielfältig. Neben den Parks, Straßenbäumen und Balkonkästen können sich die Bienen an pestizidfreien Pollen der Pflanzen laben, die auf den vielen Brachflächen gedeihen. Ein perfekter Bienenspielplatz ist auch der Park auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof.
Mehr als 600 Freizeitimker gibt es in Berlin bereits, Tendenz steigend. Auch die Vielfalt an Initiativen – neben den traditionellen Imkervereinen – ist beachtlich: Der Zusammenschluss „Berliner Honig“ fördert einen fairen, regionalen Honighandel von Stadtimkern. „Berlin summt“ unterhält Bienenvölker auf repräsentativen Gebäuden wie dem Abgeordnetenhaus oder dem Berliner Dom, um so auf die Gefährdung der Honigbiene aufmerksam zu machen. Die „Bienenbewegung“ ist ein mobiles Bienenmuseum, in dem Imker, Künstler, Naturpädagogen und Architekten gemeinsam mit Besuchern Bienen als Teil von Stadtnatur erforschen. Mit dabei ist etwa Erika Mayr, die auf einem Kreuzberger Dach ihren Stadthonig imkert. Die Autorin des Buches „Die Stadtbienen. Eine Großstadt-Imkerin erzählt“ gehört zu den Stars der Berliner Honigszene, ebenso wie Heinz Risse, der für „Berlin summt“ die Bienenvölker auf dem Abgeordnetenhaus betreut und Stadtimkerkurse anbietet.
Was muss man machen, wenn man Lust ständiges Gesumme und eigenen Honig hat? Eines der Angebote für Einsteiger ist die Bienenkiste. Der Hamburger Freizeitimker Erhard Maria Klein hat diese von außen unscheinbare Holzkiste entwickelt, einen künstlichen Bienenstock, mit dessen Hilfe auch Anfänger ohne viel Vorwissen oder Zeitaufwand imkern können (siehe unten).
Wenn man mit Klein spricht, sprudelt seine Begeisterung für die Bienen mit jedem Satz aus ihm heraus, er bewirbt sein Projekt aus voller Überzeugung. Er selbst kam vor zehn Jahren zu den Bienen, aus dem Gedanken urbaner Selbstversorgung heraus. „Es war im Grunde eine abstrakte Überlegung“, sagt er, keine Kindheitserinnerungen an einen imkernden Großvater, keine romantischen Vorstellungen vom Landleben. Er belegte einen traditionellen Kurs in einem Imkerverein. Dort lernte er, wie man Bienen in Magazinkästen hält, aber auch, dass Imkervereine nicht ganz seine Welt sind. Er wollte nicht möglichst viel Honig ernten, sondern ökologisch handeln, „Gottes Schöpfung gegenüber Verantwortung zeigen“.
So stieß Klein auf einen Verein, der sich der artgerechten Bienenhaltung verschrieben hat: ohne künstliche Zufütterung mit Zucker, ohne künstliche Waben und weitgehend ohne Arzneimittel. Klein besuchte ein Seminar, stieg tiefer in die Materie ein und entwickelte schließlich die Bienenkiste. Der Naturschutzbund zeichnete ihn mit dem Hanse-Umweltpreis 2009 aus, um sein „Engagement zum Erhalt der Honigbiene“ zu würdigen. Auch die Grünen-Umweltsenatorin Anja Hajduk lobte: „Diese kontinuierliche praktische Arbeit ist vorbildlich.“
Kostenlose Bauanleitung
Klein ist die Verbreitung seiner Idee wichtiger als die Vermarktung. Eine genaue Anleitung, wie man seine Bienenkiste nachbauen kann, veröffentlicht er kostenlos auf seiner Webseite. Wer will, kann aber auch ein fertiges Exemplar bei einem Kooperationspartner kaufen, für 235 Euro. Klein macht sich keine Sorgen um den Imkernachwuchs: „Ich glaube schon, dass das eine positive Bewegung ist, die auch langfristig Bestand haben wird und die für einen Bewusstseinswandel im Umgang mit Nahrungsmitteln und der Natur steht.“
FREIZEITIMKER ERHARD MARIA KLEIN
Der größte Unterschied zwischen traditioneller und artgerechter Bienenhaltung ist das Ausschwärmen der Bienen: Dabei verlässt die Königin mit der Hälfte ihres Volkes den Stock, um sich ein neues Zuhause zu suchen. Das entspricht dem natürlichen Fortpflanzungstrieb, wird aber von traditionellen Imkern verhindert, um nicht die Hälfte der Honigproduktion zu verlieren. Die neuen Großstadtimker hingegen lassen den Bienen freie Bahn. Und verursachen damit auch schon einmal Panik unter Nachbarn, die dem umhersurrenden Schwarm mit einigen tausend Bienen begegnen – und die nicht wissen, dass die Tiere ungefährlich sind, wenn man sich ruhig verhält.
Hauptnachteil der Bienenkiste ist die Handhabung: Um hineinzuschauen, muss sie auf den Kopf gewuchtet und dann komplett geöffnet werden. Das ist anstrengend, sowohl für den Freizeitimker als auch für die Bienen. Andere Freizeitimker schwören daher auf andere Konstruktionen, über die sie sich in Internetforen und ihren Vereinen austauschen.
Erwin Biller hält gar nichts von der Bienenkiste. „Nicht kontrollierbar“ nennt der Rentner sie. Biller weiß, wovon er redet, schließlich ist er seit über 30 Jahren Freizeitimker, arbeitet als Bienenschwarmfänger und engagiert sich im Imkerverein Lichtenrade. Auch bei ihm im Verein ist der Trend zum Stadtimkern spürbar. Die Eintagesschnupperkurse sind stets ausgebucht, die Mitgliederzahl des Vereins wächst stetig. Manch einer, dessen Interesse durch die Bienenkiste geweckt wurde, entscheidet sich eben doch für den konventionellen Weg, besucht Kurse fürs Imkern mit Magazinen und nimmt sich einen Imkerpaten. „Es dauert Jahre, bis man als Imker autark arbeiten kann“, erklärt Biller. Spätestens dann scheint man jedoch infiziert zu sein vom Imkerfieber und der Idee von der Honig-Selbstversorgung in der Stadt.
■ Bienenkiste bauen: www.bienenkiste.de