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Ohne Pause schuften

Im Bremerhavener Ameos-Klinikum Mitte haben Pflegende allein in diesem Jahr 300 Überlastungsanzeigen geschrieben. Das sei leider nicht ungewöhnlich, sagt Ver.di

„Wenn wir hier streiken würden, ständen zehn bis 15 Leute auf der Straße. Ich sehe da, ehrlich gesagt, kein Licht am Ende des Tunnels“

Martin Lukassen, Betriebsrat der Ameos-Kliniken

Von Simone Schnase

Dass Ameos in Bremerhaven zuletzt in aller Munde war, ist über ein halbes Jahr her: Der private Klinikbetreiber könne den Versorgungsauftrag für seine am Klinikum Reinkenheide angesiedelte Kinder- und Frühchenstation nicht mehr erfüllen, hatte da unter anderem Bremens damalige Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) kritisiert. Zuvor hatten Kinder- und Jugendärzte in einem offenen Brief die schlechte Versorgung in der Kinderklinik bemängelt. Grund für die Misere: Personalmangel.

Der Versorgungsauftrag im Bremerhavener Ameos-Klinikum Mitte wird hingegen noch erfüllt – fragt sich allerdings: auf wessen Kosten? Denn allein in diesem Jahr segelten der Krankenhausdirektion 300 Überlastungsanzeigen auf den Tisch. Ursache: Personalmangel. „Das geht schon seit Jahren so“, sagt dazu Ver.di-Gewerkschaftssekretärin Kerstin Bringmann. „Und die Geschäftsführung reagiert nicht.“

Konkret geht es bei den Überlastungsanzeigen um Unterbesetzung. So sei neben Hilfskräften oder Pflege-Azubis immer wieder nur eine examinierte Krankenpflegekraft für eine Station mit durchschnittlich 20 bis 25 PatientInnen zuständig. Das bedeutet, sie kann keine Pause machen, obwohl das Arbeitszeitgesetz das vorschreibt. Im Intensivbereich sind oftmals nur zwei PflegerInnen anwesend, ebenfalls pausenlos.

Unter Fachkräftemangel leiden alle Krankenhäuser, Ameos allerdings umso mehr, denn der Klinikbetreiber mit Hauptsitz in der Schweiz zahlt miserabel: Bis zu 450 Euro weniger als im kommunalen Klinikum Reinkenheide verdient dort eine Pflegefachkraft im Monat.

Dass im Klinikum Mitte angesichts dessen überhaupt noch Fachkräfte arbeiten und nicht längst in Kliniken mit Tarifvertrag gewechselt sind, liegt laut Bringmann am Durchschnittsalter der dort Angestellten: „Das Personal bei Ameos in Bremerhaven und Geestland ist überdurchschnittlich alt – da geht man nicht mehr so einfach weg.“ Das bestätigt Betriebsrat Martin Lukassen: „Die jungen Kollegen gehen weg, aber die alten bleiben. Und wenn sich hier nichts ändert, kommt für die keiner nach. Es gibt hier riesige Probleme mit der Personal-Akquise.“ Das habe Ameos mittlerweile auch erkannt, sagt Lukassen, der selbst im nächsten Jahr in Rente geht.

So habe der Ameos-Regionalgeschäftsführer angekündigt, ab 2020 „marktgerechte Löhne“ zahlen zu wollen – was immer das bedeutet, denn: „Ameos will weder mit Ver.di noch mit dem Marburger Bund etwas zu tun haben“, sagt Kerstin Bringmann. Sie vermutet, dass Ameos mit seinem Vorhaben in Bremerhaven Ähnliches meinen könnte wie das Angebot, das der Konzern just seinen Klinik-Angestellten in den Regionen Börde und Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt unterbreitet hat: Die können beziehungsweise müssen dort zwischen zwei „Zukunftspaketen“ wählen: Das eine heißt „Zukunftspaket ohne Kündigungsschutz“, das andere „Zukunftspaket mit Kündigungsschutz“.

Ersteres ist ein Änderungsvertrag zum bestehenden Arbeitsvertrag, der Sonderzahlungen und Gehaltserhöhungen bis zum Jahr 2024 vorsieht. Bei der zweiten Variante handelt es sich um einen neuen Arbeitsvertrag mit den gleichen Konditionen, der allerdings den Wechsel in eine neue Betriebsgesellschaft vorsieht – und um den schmackhaft zu machen, genießen jene, die Variante zwei unterschreiben, Schutz vor einer betriebsbedingten Kündigung bis Ende 2024.

Zuvor hatten 500 Beschäftigte für die Einführung eines Tarifvertrags gestreikt – trotz Drohungen von Seiten Ameos’. Am Vortag des Streiks hatte Regionalgeschäftsführer Lars Tim – der übrigens bis zum 1. Juli unter anderem noch für Ameos in Bremerhaven zuständig war – eine E-Mail an die MitarbeiterInnen geschickt. „Ein Streik wird den Erhalt von Fachabteilungen und Ihrer Arbeitsplätze stark gefährden“, schrieb er und: „Für Sie würde das erhebliche Veränderungen, unter anderem in Form von weiten Fahrtwegen zu einer anderen Arbeitsstätte bedeuten.“

Das Problem in Bremerhaven, sagt Lukassen, sei der schlechte Organisationsgrad. „Wenn wir hier streiken würden, ständen zehn bis 15 Leute auf der Straße. Ich sehe da, ehrlich gesagt, kein Licht am Ende des Tunnels.“

Was die Angestellten in Bremerhaven erwartet, ist unklar. Eine entsprechende Anfrage hatte die taz am Dienstag vergangener Woche ans Unternehmen gerichtet. Die für die Kliniken Bremerhaven zuständige Sprecherin hat darauf mittlerweile geantwortet – aber auch nur versichert, dass „offene Stellen laufend nachbesetzt“ würden. „Zudem bieten wir unseren Mitarbeitenden Vergünstigungen wie Fitnesstraining, Leasing von E-Bikes, Rabattaktionen sowie umfangreiche Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten an.“

Gründe für die hohe Zahl der Überlastungsanzeigen sieht Ameos in „kurzfristigem Ausfall eines Arbeitskollegen oder einer Arbeitskollegin aufgrund Erkrankung oder temporär steigende akute Notfälle“. Der Krankenstand ist fürs Unternehmen kein Ausdruck von, sondern „häufig eine Ursache für Überlastung, weil hier oftmals nur verzögert nachgesteuert werden kann. Ein hohes Durchschnittsalter unserer Mitarbeitenden in der Pflege trägt dabei sicherlich zu einer erhöhten Krankheitsquote bei.“ Die Frage nach einem Tarifvertrag ließ der Konzern unbeantwortet.

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