Premiere an der Staatsoper Berlin: Unter Kulissen begraben

Der Regisseur Damián Szifron hat „Samson und Dalila“ von Camille Saint-Saëns inszeniert – leider wie uraltes Kino und nicht wie eine Oper.

Durch den Eingang einer Höhle sieht man in den Nachthimmel, davor stehen ein Mann und eine Frau in flatternden Gewändern.

Treffen in der Felsgrotte: Elina Granca als Dalila und Brandon Jovanovich als Samson Foto: Matthias Baus

Camille Saint-Saëns hat jahrelang an seiner einzigen Oper gearbeitet, die noch heute gespielt wird, wenn auch nicht allzu oft. Man merkt es ihr manchmal an. Ihre drei Akte scheinen nicht so recht zusammenzupassen. Große, ins sich verharrende Chorszenen zu Beginn, die den handelnden Personen kaum Platz lassen, sich zu entfalten. Darauf folgt das solistische Kammerspiel einer Liebesintrige, am Ende steht ein arabesk eingefärbtes Fest fürs Ballett samt gewaltig dröhnendem Showdown.

Daniel Barenboim will daran nichts ändern. Souverän, ruhig und dennoch leichtflüssig lässt er seine Staatskapelle alle Facetten der gebrochenen Romantik dieses Werks in makelloser Schönheit der Instrumentalfarben ausspielen.

Dennoch ist es Salonmusik, durchaus reizvoll im Einzelnen, aber immer wohlgefällig. Die Gefahr musealer Langeweile ist daher groß, aber nicht, wenn Elina Garanča singt. Zwar muss auch sie sich am Anfang erst an die Bühne gewöhnen, aber im zweiten Akt gewinnt ihre Dalila Konturen und Persönlichkeit. Stets kontrolliert in den tiefsten wie höchsten Tonlagen zeichnet ihr mächtiger Mezzosopran den unauflösbaren seelischen Konflikt einer Frau, die den Helden ihrer Feinde zugleich lieben und vernichten will.

Eine große Schauspielerin ist Garanča freilich nicht. Das vom Textautor Ferdinand Lemaire durchaus modern interpretierte Psychodrama aus dem Alten Testament ist kaum zu sehen. Es ist nur zu hören. Denn Saint-Saëns, der sonst vor allem mit Instrumentalwerken erfolgreich war, hat mit klaren, singbaren Melodien, feinsinnigen Harmonien und sparsamen Farben ein sehr dichtes, abgründiges Bild einer tragischen Frau gezeichnet.

Ein robuster Tenor

Ein großer Schauspieler ist auch der US-Amerikaner Brandon Jovanovich eher nicht. Er begann seine Laufbahn einst als Football-Spieler und so singt er auch heute noch: Ein robuster, durchtrainierter Tenor, der überaus sportlich als Einzelkämpfer in den Fallstricken einer angeblichen Femme fatale hängen bleibt. Natürlich ist die patriarchale Kastrationsangst des Textes simpel gestrickt, aber Saint-Saëns hat auch dafür Töne gefunden, die Jovanovich mit großer Überzeugungskraft glaubwürdig vorträgt.

Am leichtesten hat es Michael Volle, der ohnehin jede Rolle bis zum Rand ausfüllt, wenn er nur die Bühne betritt. Mit seiner fabelhaft wandelbaren Stimme singt er jetzt nicht nur, er ist der böse Oberpriester der Philister.

Modern wird Saint-Saëns damit sicher nicht, aber es lohnt sich sehr, ihm zuzuhören. Die dekorative Oberfläche aus geschmackvoll drapiertem Samt hat Tiefen, die viel aussagen über ihre, und damit auch unsere Zeit. Nur ist in der Staatsoper trotzdem keine große Oper zu sehen. Woran es liegt, kann man im Programmheft nachlesen.

Ist nicht jede Oper Film?

Ein argentinischer Episodenfilm unter dem deutschen Titel „Jeder dreht mal durch“ hat Daniel Barenboim sehr gut gefallen. So erzählt es jedenfalls Damián Szifron, der Regisseur des Streifens, der es 2014 immerhin zu einer Oscar-Nominierung brachte. Die Schlussnummer einer katastrophalen Hochzeitfeier habe sich für Barenboim „wie eine Oper angefühlt“ und so habe er, Szifron, „ein Angebot bekommen, das man nicht ablehnen kann“. Danach sei ihm sofort klar geworden, dass eigentlich jede Oper eine Art Film sei.

Das mag ein Mann des Kinos so sehen. Tatsächlich hat 1949 Cecil B. DeMille in Hollywood „Samson und Dalila“ zu einem seiner berüchtigten Monumentalschinken verarbeitet. Nur so ist zu erklären, warum heute auf der Bühne der Staatsoper eine Wüste, Felsbrocken im Sand und Lehmhütten am Rand zu sehen sind. Massenauflauf der (vermutlich) barfüßigen Israeliten in grauen Umhängen, dazu Krieger mit gehörnten Helmen, ein König im Prachtgewand auf einer Sänfte getragen, schließlich Samson, der einen toten Stier am Seil hinter sich her schleift. Ein Beweis seiner Kraft, der nachher im Weg liegt.

Der zweite Akt ist eine vaginale Felsgrotte aus Styropor. Dalila zündet ein Öllämpchen an, Eisnebel für den Auftritt des Oberpriesters, Blitze am fernen Himmel für Samson, den Geliebten. Am Ende Köpfen und Hängen im Tempel, Stuntmen stürzen zu Tode, eine Orgie mit nackten Brüsten, Samson zerbricht zwei Säulen.

Die Nahaufnahme fehlt

Nein, nichts stürzt wirklich ein, es ist alles nur ein Filmset. Aber eben kein Theater. Ein dressierter Wolfshund schnuppert zu Beginn an einem Bündel an der Rampe. Was es sein könnte, ist nicht zu erkennen, weil die Nahaufnahme fehlt. Mühsam muss man später raten, dass es wohl ein totes Kind war. In den vielen Dialogszenen von Saint-Saëns stehen Sänger und Sängerinnen hilflos gestikulierend nebeneinander, allein gelassen von der Regie, die mit ihnen in der Totale nichts anfangen kann. Im Film würden sie in Schnitt und Gegenschnitt miteinander reden.

Ein ironischer Rückblick auf die Frühzeit von Hollywood könnte reizvoll sein, aber genau dazu kommt es nicht. Die Aufführung stolpert zäh und sinnlos in den den Kulissen eines uralten Kinos herum, die alles unter sich begraben, was mal eine Oper war. Nein, nicht ganz: Auch das Publikum der Premiere hat sich herzlich bedankt für großen Gesang und wundervoll gespielte Musik. Protest gab es erst, als auch Szifron auf die Bühne kam. Barenboim hat ihn demonstrativ bei der Hand genommen. Zu spät, er hätte mal mit ihm reden sollen.

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