: Abwegiger Optimismus
Der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger erklärt, warum der Kapitalismus permanent expandieren muss, bis alles zerstört ist
Mathias Binswanger: „Der Wachstumszwang“. Wiley Verlag, Berlin 2019, 309 Seiten, 24,99 Euro
Von Ulrike Herrmann
Es gibt einen schönen Spruch: „Unendliches Wachstum ist die Logik der Krebszelle.“ Die Tumore wuchern, bis sie den Organismus und damit sich selbst getötet haben. Genau dieser Mechanismus ist auch beim Kapitalismus zu beobachten, der ungebremst expandiert.
Die Menschheit ruiniert ihre eigenen Lebensgrundlagen – aber niemand scheint diesen Wahnsinn aufhalten zu können. Auch Klimaaktivistin Greta Thunberg musste erleben, dass sie zwar mit jedem Regierungschef reden durfte, sich real aber wenig geändert hat. Kein Land ist bereit, das Wachstum der eigenen Wirtschaft abzubremsen. Dieser Drang zu permanentem Wachstum ist rätselhaft, zumindest in den reichen Ländern, denn das Ziel ist längst erreicht: Die Menschen sind zufrieden. Sie werden nicht mehr glücklicher, wenn der Wohlstand weiter steigt. Viele Wachstumskritiker glauben daher, es sei ganz einfach, den Kapitalismus zu reformieren. Man müsste nur die Zinsen abschaffen, die Arbeitszeit verkürzen oder ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen.
Doch diese Ansätze müssen scheitern, wie der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger in seinem neuen Buch „Wachstumszwang“ zeigt. Anschaulich beschreibt er das Grundproblem: Der Kapitalismus ist nur stabil, solange er expandiert. Sobald die Wirtschaft stagniert, droht bereits die Krise. Es setzt eine Abwärtsspirale ein, die Millionen Menschen arbeitslos macht.
Der Kapitalismus ist zur Expansion verdammt, weil er auf Krediten beruht. Wachstum lässt sich nämlich nur finanzieren, indem die Geldmenge ausgeweitet wird und neue Nachfrage entsteht. Anschließend ist aber weiteres Wachstum nötig, um genau diese Darlehen wieder zurückzuzahlen. Es ist eine ewige Tretmühle.
Die Konsequenz ist radikal: Wer das permanente Wirtschaftswachstum beenden will, muss ganz aus dem Kapitalismus aussteigen. Doch dann verlässt Binswanger der Mut. Statt über ökonomische Alternativen nachzudenken, zitiert er lieber Prognosen, dass die Natur das ungebremste Wachstum noch bis ins Jahr 2100 aushalten würde. Dieser Optimismus wirkt etwas abwegig.
Schon jetzt tut die Menschheit so, als könnte sie zwei Planeten verbrauchen. Es gibt aber nur diese eine Erde.
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