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Politische Eiszeit in Lichtenberg

Das Klima zwischen Linkspartei und SPD ist auf einem Tiefpunkt. Das zeigt sich etwa an einem absurd anmutenden Streit über ein Wohnungsbauprojekt

Die Kontrahenten sind Bürgermeister Michael Grunst (Linke) und Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD)

Von Marina Mai

Tief eingegraben in die Sandhaufen an der Ecke Ehrlichstraße/Blockdammweg im Lichtenberger Ortsteil Karlshorst dreht sich ein einsamer Abrisskran. Auf dem einstigen Industriegelände soll die Parkstadt Karlshorst entstehen, eines der größten Neubauvorhaben in Berlin. Geplant sind mehr als 1.000 Wohnungen, gut die Hälfte davon Eigentumswohnungen, dazu eine Grundschule, eine Kita, Einzelhandel und Grünflächen. Doch Abrisskran und Bauvorhaben sorgen derzeit für eine Vergiftung des politischen Klimas in dem Bezirk. Die Kontrahenten sind Linkspartei und SPD.

Vordergründig geht es um 35 Sozialwohnungen in dem Wohngebiet. Wenn ein Investor Wohnungen baut, muss er einen bestimmten Anteil an Sozialwohnungen erstellen. Das Problem: Diesen Anteil kann man unterschiedlich berechnen. Die Bonava, die die Parkstadt baut, plant 252 Sozialwohnungen. Rechtlich ist das zulässig. Rechtlich wären aber auch 35 Sozialwohnungen mehr zulässig. Und diese 35 Wohnungen mehr fordert die Linke so vehement, wie die SPD sie ablehnt.

Im Oktober stimmte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) erstmals über dievorzeitige Planreife der Parkstadt Karlshorst ab. Die vorzeitige Planreife ist eine Vorstufe des Bebauungsplans. Sie soll dem Bauherren Planungssicherheit geben. Die Linke, die in Lichtenberg die größte Fraktion stellt, stimmte genauso wie Grüne und Teile der AfD gegen den Antrag. SPD, CDU und Teile der AfD votierten dafür. Der Antrag von Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD) war damit abgelehnt. Die 13 SPD-Verordneten und ihre Stadträtin verließen aus Protest den Saal und die SPD kündigte den Linken die Kooperationsvereinbarung, die sie für diese Legislatur hatten.

Dass 35 Sozialwohnungen zu solch einem Eklat führen können, hängt mit dem anderen Problem zusammen, um das es geht: Die Atmosphäre zwischen SPD und Linken in Lichtenberg ist seit Jahren zerrüttet. Die Kontrahenten sind Bürgermeister Michael Grunst (Linke) und Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD), die auch seine Stellvertreterin ist. Beide sprechen kaum miteinander. Beiden wurde, vorsichtig formuliert, die Fähigkeit zu Kompromissen nicht in die Wiege gelegt. Monteiro hat bereits angekündigt, in der nächsten Legislatur nicht erneut zu kandidieren. Von Grunst ist so eine Ansage nicht bekannt.

SPD-Fraktionschef Kevin Hönicke fordert von ihm, das politisch Machbare vor Parteiinteressen zu stellen. Grunst ist auch in seiner eigenen Partei umstritten, seit er Bürgermeister wurde, nachdem die ursprüngliche Kandidatin Evrim Sommer durch ihre eigene Partei kaltgestellt wurde. Grunsts Anteil an dieser Intrige ist Gegenstand von Spekulationen.

Norman Wolf, Fraktionschef der Linken, verteidigt angesichts der Wohnungsnot die Forderung nach 35 zusätzlichen Sozialwohnungen. „Die SPD-Baustadträtin hat mit dem Investor schlecht verhandelt, sie hätte für diese Wohnungen kämpfen müssen“, sagt er der taz.

Kevin Hönicke setzt andere Schwerpunkte. Nicht, dass er etwas gegen Sozialwohnungen hätte. Aber diese 35 mehr seien dem Investor einfach nicht abzuringen gewesen. Und da sei es aus seiner Sicht ein Gebot des Pragmatismus, das Bauvorhaben insgesamt zu ermöglichen.

Was Hönicke besonders ärgert, ist die angebliche Unberechenbarkeit der Linken. Bürgermeister Grunst hätte zwar im Bezirksamt gegen das Bauvorhaben gestimmt. Aber die Verordneten hätten sich im Ausschuss mehrheitlich der Stimme enthalten. „Und ich bin davon ausgegangen, dass sie das auch in der BVV tun. Ihr Umschwung ohne Vorankündigung ist ein Vertrauensbruch.“

Das stellt Linken-Mann Wolf ganz anders dar: „Unsere Vertreter im Ausschuss haben darauf hingewiesen, dass dem Bezirk hier ohne Not 35 Sozialwohnungen entgehen.“ Noch im Juli hätte die Linke von der SPD gefordert, Nachverhandlungen zu prüfen. Das wurde nicht genutzt, so Wolf.

Was dann folgte, ist ungewöhnlich: Baustadträtin Monteiro (SPD) brachte im November den Antrag erneut in die BVV ein. Zuvor hatten die Fraktionschefs von SPD und Linken im Gespräch mit dem Investor ausgelotet, dass der nicht zu mehr Sozialwohnungen zu bewegen war. Die Linke, die nicht als Schulverhinderungspartei dastehen wollte, enthielt sich nun teilweise, einige Verordnete stimmten gegen das Vorhaben. Von der AfD stimmten mehr Verordnete für das Bauvorhaben als bei der ersten Abstimmung. Der Beschluss wurde angenommen. Die Rechtspopulisten feierten sich als Mehrheitsbeschaffer.

SPD-Mann Kevin Hönicke ist indes zuversichtlich, das Verhältnis mit den Linken in der BVV wieder hinzubekommen. „Ich persönlich rede mit der Fraktionsführung immer total entspannt. Wir haben den Linken ein Positionspapier für unsere künftige Zusammenarbeit auf den Gebieten Wohnungsbau und Zuverlässigkeit von Absprachen geschickt.“ Sein linker Kollege Wolf bestätigt das und kündigt Gespräche für einen möglichen Neustart der Zusammenarbeit im neuen Jahr.

Weniger optimistisch ist Hönicke, was eine Verbesserung des Arbeitsklimas im Bezirks­amt betrifft. Dort gilt das Klima als eisig.

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