Mit allen Tassen im Schrank

Mariko Minoguchis Debütfilm „Mein Ende.Dein Anfang“ beweist ein Gespür für Momente

Von Michael Meyns

Kurze Zeit nachdem sie zusammengezogen sind, stehen Nora (Saskia Rosendahl) und Aron (Julius Feldmeier) in ihrer Küche vor einem Heisenberg’schen Schrank. Was das ist? Eine Vitrine, in der das Porzellangeschirr so unglücklich verrutscht ist, dass es unmöglich ist, die Tür zu öffnen, ohne dass das Geschirr herausfällt und zerbricht. Doch solange die Tür geschlossen bleibt, bleibt auch das Geschirr heil. In Abwandlung von Heisenbergs Katze, die in einem berühmten Gedankenexperiment sowohl tot als auch lebendig ist, existiert also auch das Geschirr in zwei Zuständen: Es ist heil und zugleich kaputt.

Mit solchen Gedankenspielen arbeitet Mariko Minoguchi in ihrem Debütfilm „Mein Ende. Dein Anfang“, der gleich mit einem kurzen Ausflug in die Relativitätstheorie beginnt: Wie Aron, ein angehender Physiker, in einem Vortrag erklärt: „Relativität besagt, dass Zukunft und Vergangenheit die gleiche Bedeutung für die Gegenwart haben. Warum erinnern wir uns dann aber nur an unsere Vergangenheit und nicht an unsere Zukunft?“

Ein paar Szenen später wird Aron tot sein, erschossen in einer Bank, in der Nora Geld abheben wollte, denn Aron hatte seine Bankkarte vergessen, bei einem Essen mit Noras Mutter, die Nora Vorwürfe für ihr scheinbar verpfuschtes Leben macht. Ist das eine Kausalität? Wäre die Zukunft anders verlaufen, wenn Noras Mutter netter wäre? Wie weit kann man Ursachen von Ereignissen bis weit in die Vergangenheit verfolgen? Oder in die Zukunft?

Bald nach Arons Tod trifft Nora auf Natan (Edin Hasanovic), dessen Name nicht nur ein Palindrom ist, sondern der auch noch alles andere als weise agiert. Seine Tochter Ava ist schwer krank und braucht teure Medikamente. Noch sind sie von der Krankenkasse abgedeckt, doch nachdem Natan wegen eines kleinen Diebstahls gefeuert wird, steht er mit sehr leeren Händen da – und sieht nur einen kriminellen Ausweg. Vor und zurück springt die Erzählung, in unterschiedlichen Zeitachsen: Aron und Noras Beziehung und Natans verzweifelte Versuche, seine Tochter zu retten. Der Vorteil dieser Struktur: Die eigentlich tragische Geschichte von Aron und Nora wird aufgebrochen, der in der linearen Struktur der Erzählung schon Tote lebt scheinbar weiter, Raum und Zeit lösen sich auf. Der Nachteil: Ein wenig kaschiert die fragmentarische Erzählweise, dass „Mein Ende. Dein Anfang“ im Kern eine sehr einfache Geschichte erzählt und die Inszenierung nicht verhehlen kann, dass es sich hier um einen Debütfilm handelt.

Nicht zu Ende gedacht

Viele Bälle werden in die Luft geworfen, die dann nicht aufgenommen werden: Anfangs spricht Aron noch verheißungsvoll von Déjà-vus und Träumen, in denen die Zukunft seiner Theorie nach Zeichen sendet, doch im Verlauf des Films bleibt dieser Gedanke dann außen vor, selbst die Begegnung zwischen Nora und Natan spielt sich ohne jedes Geheimnis ab, bis auf den Moment der Enthüllung, in dem die Struktur der Erzählung offenbart wird.

Die große Ambition des erzählerischen Ansatzes, des Spiels mit Quantenmechanik und Relativitätstheorie, kann Minoguchi nicht ganz einlösen, doch dass sie ein Gespür für Momente hat, ist unbestreitbar. Gerade die Szenen des unbeschwerten Glücks zwischen Aron und Nora ragen heraus, in denen die etwas kantenlose Lieblichkeit der Hauptdarsteller Saskia Rosendahl und Julius Feldmeier nicht irritiert. Wenn das junge Paar zum 80er-Jahre-Popsong „Ohne Dich“ von Münchner Freiheit tanzt, erst ein wenig unbedarft, dann immer mehr den Rhythmus des Gegenübers spürend und schließlich voller Leidenschaft singend, dann bleibt in diesem oft schönen, immer ambitionierten, manchmal auch überambitionierten Liebesdrama die Zeit stehen.

„Mein Ende. Dein Anfang“. Regie: Mariko Minoguchi. Mit Saskia Rosendahl, Julius Feldmeier u. a. Deutschland 2019, 111 Min.