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Keine Geschenke ist auch keine Lösung

Das Kapital braucht den Akt des Schenkens als Romantisierung des Warenverkehrs nicht mehr. Deshalb ist der Verzicht auf Weihnachtsgeschenke auch kein widerständiger Akt. Leichter ist das Schenken aber auch nicht gerade geworden. Unser Autor macht ein paar Vorschläge zur Güte

Von Jan-Paul Koopmann

Nichts markiert den technologischen und kulturellen Stand der gesellschaftlichen Produktivkräfte treffsicherer als der lapidare Satz: „Also, wir schenken uns ja dieses Jahr nichts zu Weihnachten.“ Dass nämlich der kurzweilig pointierte Ausbruch aus der Warenzirkulation immer mehr Menschen größeren emotionalen Mehrwert verspricht als eine geschenkte Ware, zeigt zweierlei: Die totale Übersättigung des Marktes, klar, aber eben auch, dass es dem Kapital offenbar die Mühe nicht mehr wert ist, diesen Schenkungsakt noch ernsthaft zu bewerben.

Machen wir uns nichts vor: Es liegt kein widerständiger Akt in einem Konsumverzicht, der sich darauf beschränkt, es eine halbe Stunde unterm Tannenbaum nicht mehr so krass zu übertreiben wie früher. Diese Menschen schenken ganz einfach deshalb nicht, weil das Kapital diese Romantisierung des Warenverkehrs nicht mehr benötigt.

Emotionaler Überschuss

Und das wäre ja auch völlig okay und eine private Belanglosigkeit, würde mitsamt der obsolet gewordenen Ideologie unter Geschenkpapier nicht auch ein kleiner, aber wunderschöner emotionaler Überschuss ausgelöscht. Man sollte mindestens vorsichtig sein im Umgang mit Menschen, denen wohlig warm bei der Vorstellung wird, die Trostlosigkeit des Restjahres nun unbedingt auch noch auf Weihnachten abzuladen.

Schenken ist vielleicht, gerade weil es dem Massenkonsum so nahe bleibt, ein immerhin partieller Ausbruch aus gerade den unangenehmsten Momenten der Warenproduktion: weil man weder produzieren noch kaufen muss, was man geschenkt bekommt.

Dass die meisten Geschenke Schrott sind und ihre Auswahl eine echte Herausforderung, steht auf einem anderen Blatt. Und das verändert sich mit der Zeit auch, ganz egal, was Ökonomist*innen, Verhaltenspsychologie und Hirnforschung alle Jahre wieder in ihren Fachblättern behaupten. Interessant am spätkapitalistischen Schenken ist gerade nicht das zeitlose Geben, Nehmen und Geliebt-werden-Wollen – sondern die Spezifika. Und die sind hochgradig widersprüchlich und lassen sich übrigens auch nicht in eine Formel pressen: G – W – Geschenk, oder so.

Sortieren lassen sich die Möglichkeiten aber dennoch, weil Menschen so unterschiedlich sind wie die Beziehungen zwischen ihnen. Hier ist beides wichtig. Haben Sie mal ein Buch an jemanden verschenkt, der oder die gerade damit fertig war, sämtliche Platten, Bücher, Filme und Fotos zu digitalisieren? Lassen Sie sich sagen, es ist keine sonderlich schöne Erfahrung.

Natürlich bleibt das ein Spezialfall, obwohl der vulgäre Antimaterialismus zunehmend größere Verbreitung findet. Erstaunlich daran ist jedenfalls, dass die Kulturpraxis des Gerümpelanhäufens sich so plötzlich als so schnelllebig erwies. Und das macht Schenken gefährlich: Lief man früher Gefahr, etwas Doofes zu Überreichen oder etwas Doppeltes, kann man heute – ohne es zu ahnen – ganze Lebensentwürfe infrage stellen.

Abstrakt Schenken

Naheliegend klingt zunächst, sich aufs Abstrakte zurückzuziehen, was ein erster Geschenktypus sein könnte. Trotz allgemeiner Unbeliebtheit weit verbreitet ist der Gutschein, der eine oder zwei dieser Funktionen erfüllt: Sich selbst etwas auszusuchen und/oder eine Sache erst dann zu unternehmen, wenn denn auch Zeit dafür ist. Völlig klar, dass einen das unter Druck setzt und es ist auch in beiden Fällen übergriffig.

Was auf jedem Gutschein implizit steht: „Hiermit überreiche ich dir eine Terminsuche, eine Aufgabe und möglicherweise noch einen Streit mit Kassenpersonal, das im Grunde auch nichts dafür kann.“ Auch ohne es beweisen zu können, ist die Behauptung nicht sonderlich gewagt, dass die Industrie diese Scheißdinger so gern ausgibt, weil große Teile davon nie eingelöst werden.

Einfach: Geld

Und zu allerletzt schwebt über all dem noch die Frage, warum nicht gleich – wenn schon, denn schon – Geld schenkt, wer einen nach draußen auf den Markt jagen will. Ja, warum nicht? Weil es beschämend ist. Zwar hat heute kaum jemand genug Geld, es will aber auch kaum jemand zugeben. Ein Kuvert zu öffnen, in dem eine Banknote liegt, muss sich anfühlen, als würde einem die Maske vom Gesicht gerissen. Außerdem fehlt hier der besagte romantische Rest in dieser spezifischen Form des Warentauschs. Normalerweise wäre das noch schlimmer als das penetrante, aber im Grunde doch harmlose Sticheln eines uneingelösten Gutscheins an der Pinnwand.

Es gibt jedoch zwei Ausnahmen in Sachen Geldgeschenk: Gehen tut es nämlich, wenn der oder die Schenker*in selbst wenig Geld hat und ihr Gegenüber die finanzielle Unterstützung als Aufopferung zu deuten weiß. Entweder also diese Vertrautheit, oder – als zweite Möglichkeit – es handelt sich um eine sehr, sehr große Summe. Da stört sich dann auch keiner an der Bloßstellung. Ach so, noch eine Ausnahme ist natürlich das Hochzeitsgeschenk, das sich allerdings auch als Beitrag zur arschteuren Feier verstehen lässt. Oder als Investition in die Zukunft.

Purer Luxus

Mit dem Geld verwandt ist das Luxusgut: etwas Schönes, das man sich sonst nicht leisten würde. Empfehlenswert ist hier etwas zunächst Abwegiges, um gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, dass doch nur eine verkappte Form des Geldgeschenks vorliegt. Neben der implizierten Unterstellung, dass jemand sich so etwas nicht leisten könne, sind auch die niedrigen Zinsen problematisch. Dank der allgegenwärtigen Null-Prozent-Finanzierungen, die diverse Versandhäuser für diverses Gerümpel anbieten, vermag zumindest erst einmal jede*r alles zu kaufen. Es ist auch ein Problem des Schenkens geworden, dass auch bei massiver Verelendung ganzer Bevölkerungsschichten weiterhin alles für alle verfügbar scheint.

Gänzlich vom Tisch ist das Luxusgut darum aber nicht. Es lässt sich etwa zum Angeben verschenken, um die eigene (meinetwegen auch fiktive) Kaufkraft zu demonstrieren, oder an sparsame Menschen, die ihre Finanzen im Griff haben und sich eben nicht alles kaufen, was ihnen so in den Blick kommt.

Besser als der Algorithmus

Es ist klar, dass es grundsätzlich beim Schenken hilft, das Gegenüber ein wenig zu kennen. Und weil das auch dem Kapital nicht entgangen ist, konkurrieren Schenker hier hart mit dem Markt. Faustregel: Amazons Algorithmen kennen Ihre Liebsten in Sachen Produktvorlieben immer noch ein kleines Bisschen besser. Das macht den Typus des Expertengeschenks so schwierig: Kennt sie, kann er, haben sie schon.

Hier lohnt es sich, einen Schritt zurück zu machen: Zeigen sich zu Beschenkende etwa neuerdings an Graphic Novels interessiert, hilft ein Blick in die Nominiertenlisten der relevanten Preise (Eisner Award oder Max-und-Moritz-Preis) vor vier Jahren. Nur nicht die Gewinner kaufen. Denn weil der Markt bekanntlich immer weiter und weiter expandieren muss und sich vor allem für das neuste interessiert, stehen die Chancen beim Zweitbesten von gestern erheblich besser als beim Besten von heute. Und das ist ein tatsächlich neues Phänomen, weil die klassische Backlist im Buchhandel eine immer unbedeutendere Rolle spielt. Das mag traurig sein, hilft aber ungemein, die Kaufkraft der Empfänger sowie der mitschenkenden Konkurrenz auszutricksen.

Limitiert und individuell

Es gibt noch mehr solcher spätkapitalistischen Marktmechanismen, die sich ausnutzen lassen. Die künstliche Verknappung etwa in Zeiten, wo sogar natriumglutamatübersättigte Kartoffelprodukte und Zuckerwasser in Limited Editions erscheinen. Da lässt sich auch vorplanen. Kaufen Sie im Herbst einen limitierten Turnschuh und tauschen Sie ihn notfalls um, wenn die Beschenkten dann doch schon am Nikolaustag damit herumlaufen. Es nervt vielleicht, wirft aber gute Geschenke für Menschen ab, denen das Besondere wichtiger ist als Qualität – und die sind doch deutlich leichter zu finden als die Sparsamen von oben.

Ist einem das zu blöd, oder liegen schlicht nicht genug Daten über die Zielperson vor, bleibt der andere heiße Scheiß der Warenwelt: die Personalisierung. Hier kommt zwar zwingend doch der Gutschein zum Einsatz, dessen Nachteile aber nahezu komplett vom Schein der Ware gewordenen Individualität überstrahlt werden. Gutschein für den Turnschuhkonfigurator ist ein Versprechen und keine Last. Ehrlich. Zusammenfassend könnte man sagen: Gerade die Spitzen des Konsumirrsinns werfen mit ein bisschen Glück ganz passable Geschenk­ideen ab.

Herrlich verderblich

Versucht man umgekehrt, die durchdeklinierten Nachteile der bisherigen Geschenktypen zu umschiffen, ergibt sich ein noch ganz anderes Feld: Leicht verderbliche Lebensmittel, solange sie nicht zu teuer sind. Da droht nicht nur die beschämende Wirkung des Geldgeschenks, sondern auch moralisches Unbehagen, weil Verschwendung zur Zeit nicht sonderlich sexy ist und sich gerade ökologisch sensible Beschenkte schnell als Mittäter*innen fühlen können.

Auch hier gilt aber, dass sich diese Trends mit wenigen Handgriffen auf den Kopf stellen lassen. Wenn es nämlich etwas gibt, dass in unserer Zeit der Nichtraucher, Kalorienzähler und Regionalisten wirklich zieht, dann ist es, eine Ausrede geliefert zu bekommen. Das Zeug mag zwar ungesund sein, aber es wegzuschmeißen, macht ja nun auch nichts besser …

Und das könnte tatsächlich eine Lösung sein, wäre die Disziplin nicht ausgerechnet an Weihnachten ohnehin längst im Keller. Familientradition hat die Völlerei legitimiert, wirklich Hunger hat keiner mehr und dann steht mit dem guten Vorsatz zu Neujahr ohnehin der säkularisierte Generalablass ins Haus.

Hauptsache entschieden

Das perfekte Geschenk muss sich verhalten zur Individualisierung und unter all den Nachteilen denjenigen ausmachen, der beim Gegenüber auf die geringste Abneigung stößt. Dringend zu warnen ist beim Abwägen allerdings vor den früher so populären Mischformen. Das Duo aus Schokoladentafel und Zehn-Mark-Schein mag in den 80er- und frühen 90er-Jahren noch getaugt haben, die Nachteile von Ausrede, Luxusgut und Geldgeschenk gegeneinander auszuspielen – zumal gerade Geld und Verschwendung während der Siegesfeierlichkeiten des Kapitalismus über den Zusammenbruch des Ostblocks auch weniger hässlich aussahen.

Doch der (verregnete) Sommer des Liberalismus ist vorbei und für die sich nun postideologisch gebende Kultur von heute fehlt es solchen Mischgeschenken an Entschlossenheit. Das so allgemeine wie ungezielte Genörgel verleitet doch eher dazu, ihre Nachteile zu addieren.

Gar nicht überraschend, aber dann irgendwie auch doch, ist die Passgenauigkeit des Schnittblumenstraußes in diesem Szenario. Das angeblich bereits im alten Ägypten populäre Präsent ist auch nach 5.000 Jahren als Kompromiss unübertroffen super, weil es so nutzlos ist, schnell verdirbt, angemessen teuer und dabei noch superpersönlich rüberkommt. Und ich zum Beispiel freue mich wirklich über Blumen – nicht nur, aber auch weil man sie nach ein paar Tagen ruhigen Gewissens auf den Kompost werden darf.

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