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Besser als Brecht

Am Staatstheater Oldenburg verpasst Maria Viktoria Linke Brechts Volksstück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ eine gehörige Portion Feminismus. Und das tut ihm ausgesprochen gut

Von Jan-Paul Koopmann

Ob es nun Blut ist, was Eva da übers Kinn rinnt, oder doch nur verschmierte Schminke: Es kommt gar nicht mehr drauf an. Die Verletzung und die Demütigung zielen ohnehin auf ihr Ganzes. Vielleicht gerade weil sie im Grunde ihrem Vater gelten, dem fetten Gutsbesitzer, der beim Zugucken ihrer Misshandlung ins Grübeln kommt. „Es hat mir gut gefallen, wie du sie geprüft hast“, wird er kurz darauf zum Täter sagen. Doch da ist sie schon wieder von der Bühne, klitschnass und keuchend, weil man sie gerade beinahe in dem Pool am Bühnenrand ertränkt hätte.

„Herr Puntila und sein Knecht Matti“ ist so feministisch wie Brecht nun einmal war: nämlich gar nicht, oder höchstens aus Versehen. Und es wäre auch etwas viel gesagt, dass Maria Viktoria Linkes Regie am Oldenburgischen Staatstheater daran nun grundsätzlich etwas geändert hätte. Aber es ist schon etwas mehr als nur ein kleiner Riss in der Herr-Knecht-Kiste, der sich in Momenten wie diesem auftut und der sehr zu Recht die Frage aufs Parkett hebt, was einen diese Arschlöcher eigentlich angehen: der Herr wie sein Knecht mit ihrer selbstgefälligen Hegelei.

Um die geht es Brechts Lustspiel, das ab 1940 im finnischen Exil entstanden ist, zumindest vordergründig: Gutsbesitzer Puntila und Knecht Matti leben und arbeiten in gegenseitiger Abhängigkeit, der eine kann nicht so recht ohne den anderen, was sich der Klassenfrage wegen auch beim besten Willen nicht auflösen lässt. Komplizierter wird’s, weil Puntila ein ausgeprägtes Alkoholproblem hat und, wie er sagt, nur so einmal pro Quartal unter „Anfällen sinnloser Nüchternheit“ leidet. Dann ist er ein brutal erkalteter Ausbeuter, betrunken hingegen ein ganz lieber Kerl – auf dem Papier jedenfalls.

Durch diese Wechsel manövriert Thomas Lichtenstein nach ein paar Flaschen (oder auch: Kanistern) Aquavit mit gespenstischer Treffsicherheit. Man merkt es, lange bevor Puntila ins Lallen kommt. Da erschlaffen die Mundwinkel, sein Blick wandert ins Leere und irgendwo von unten zieht ihm eine Süffisanz in den Ausdruck, die zwar schwer zu erklären, dafür aber geradezu körperlich spürbar ist. Wer je mit Alkoholkranken zu tun hatte, erkennt das wieder, und wird beim Lachen wahrscheinlich ein paar der nachfolgenden Zoten auslassen.

Nun ist das Verhältnis von gutem und bösem Puntila schon bei Brecht viel weniger eindeutig, als man meinen könnte. Auf der Oldenburger Bühne zerlegt sich die Gewissheit dann aber endgültig im tatsächlich berührenden Porträt eines gebrochenen Menschen. Einem übrigens, der auch besoffen schon deshalb kein Guter sein kann, weil sein Interesse an Personal und Landvolk unverhohlen gierig und lüstern ist.

Dann grabbelt er am Chauffeur wie an den Frauen herum – und nötigt ihnen seinen Schnaps auf. Nein, das ist kein #MeToo-Update des Stücks, sondern es stand da schon immer drin. Es hat sich nur selten jemand so produktiv daran gestört, wie diese Inszenierung es tut.

Stattfinden tut diese Gruselgeschichte in einem eigentlich kahlen Bühnenraum, dessen Wände allerdings immer wieder mit animierten Projektionen von Stefan Bischoff sozusagen ausgemalt werden. Anfangs ist es noch ein provinzieller Vergnügungstempel mit flackernden Glücksspielautomaten, Nostalgietäfelchen und (besonders hübsch) schwankenden Lampen, deren bewegtes Licht die Projektion nochmal in Gänze in Bewegung hält. Später kreisen surreale Puppenköpfe über die Wände und ganz reale Videos: von Schlachthöfen und aus der agrarindustriell zerschundenen Natur.

Herr Brecht und seine Knechtin Hella Wuolijoki

Unangenehm lax war Bert Brechts Umgang mit den Rechten anderer Autorinnen. Das gilt zumal für die der estnisch-finnischen Schriftstellerin Hella Wuolijoki. Deren Farce „Sahanpuruprinsessa“ ist nicht nur die Vorlage von Brechts Komödie, sie hatte sie 1940 sogar für ihn als „Die Sägemehlprinzessin“ ins Deutsche übertragen, als der arme Bert Brecht auf ihrem Hof in Marlebäck Asyl fand: Er konnte ja kein Finnisch.

Das böse Wort Plagiat wäre unangemessen, hat die deutsche Germanistik natürlich längst bewiesen, auch für andere Entlehnungen und zitierte Verse. Nicht wegerklären konnte sie allerdings, dass ”Puntila kein typisches Brecht-Stück“ ist, wie die finnische Theaterwissenschaftlerin Pirkko Koski erinnert: „Die ländliche Umgebung, der Erzählstil und das soziale Image stammen eindeutig von Wuolijoki.“

Wuolijoki, 1886 in Estland als Ella Murrik geboren, 1943 wegen pro-sowjetischer Spionage zum Tode verurteilt, aber begnadigt, wurde nach dem Krieg Fraktionsvorsitzende der linken Sammlungspartei „Suomen Kansan Demokraattinen Liitto“ in der Eduskunta, also dem Reichstag. Bis 1949 war sie zudem Chefin des Yleisradio, des Staatsrundfunks. Sie starb 1954.

Es ist nämlich keines Falls so, dass die personell entzerrte Ausbeutungsparabel den politischen Druck der Komödie kassiert hätte. Im Gegenteil: Der Verweis auf die Landwirtschaft, gerade hier um Oldenburg, hebt die Klassenfrage direkt ins Unmittelbare. Bis hin zum „roten“ Surkkala, einer Nebenrolle, die beim rot-vermummten Agitieren dann auch ganz ausdrücklich die rumänischen Wanderarbeiter auf den Schlachthöfen anspricht.

Und all das wird noch gerahmt von finnischer Folklore: von Trachten bis zum berühmt-berüchtigten Tango. Verblüffend ist es schon, dass die durchaus lustigen Szenen auch als Volksstück noch weitgehend funktionieren, wenn im Hintergrund ein paar Dutzend aufgeschlitzte Schweine vom Haken baumeln. Seinen Teil dazu bei trägt der Sound, den der musikalische Leiter Johannes Mittl live vom Piano oder Akkordeon besteuert, oder den der Schauspieler Tobias Schormann als Medley der Liebeslied-Hölle zum Besten gibt: von Max Raabe und Rio Reiser immer weiter runter zu Matthias Reim und so weiter: „Weiß der Geier oder weiß er nicht?“ Tja, keine Ahnung.

Irgendwann wird es jedenfalls ein bisschen eng im Diskurs zwischen Kapital und Gender, zwischen Schlachthof und Showbühne – doch man findet sich irgendwie zurecht und am Ende kulminiert’s dann auch wieder reibungslos im völligen Irrsinn, als Eva vom Himmel hoch auf einem grinsenden weißen Schwein zum Bühnenboden hinabschwebt.

Von der Gutsherrentochter wäre ohnehin noch zu sprechen. Die soll ja verlobt werden und zwar je nach Promillestand ihres Vaters mit Knecht Matti oder dem Attaché von Soundso. Eva ist hier eine bemerkenswert komplexe Figur, die Anke Stedingk aufs Gründlichste entwickelt hat, bevor Matti sie schließlich im Wasser erledigt. Stedingks Eva ist eine Frau, die sehr genau weiß, was sie will – es aber grundsätzlich nicht ausspricht. In Worten jedenfalls nicht.

Dafür umso deutlicher in ihrem Bewegungsarsenal, wo sie sich am damenhaften Kokettieren versucht, um dann eher derbe beim Ausdrücken der Zigarette am Boden den Arsch ins Gesicht von Matti zu strecken. Das ist weit weniger vulgär, als es klingt, sondern zunächst mal ein Versuchen und ein Ausprobieren mit so ganz und gar nicht diskretem Charme der Bourgeoisie.

Keine Spur von der geistig-moralischen Überlegenheit, sondern verdruckste Wut, die sich an der Frau entlädt

Eva tut sichtlich das, was man an Widersprüchlichkeiten von ihr erwartet – und versucht schlicht, dabei ein Mensch zu bleiben. Und da wären wir auch doch wieder beim Feminismus und schließlich in diesem Pool, aus dem Eva sich irgendwann herauswuchten muss. Matti hatte da beweisen wollen, dass Eva zur Arbeiterin nicht taugt, sie den Boden wischen und allerlei schwierige Lebensumstände in Gedanken durchspielen lassen. So weit, so gut, so Klassenstandpunkt.

Aber dieser Umschlag in Gewalt – dass sie unter Wasser gedrückt wird und wenigstens kurz um ihr Leben strampeln muss – das ist nicht der Aufstand der Verdammten dieser Erde, sondern eine durch und durch männliche und selbstverständlich sexuell konnotierte Gewaltphantasie.

Klar, dass ein protestantisch strenger Matti, wie Klaas Schramm ihn in Oldenburg spielt, sich so an der üppigen Gutsherrentochter auslässt. Man hatte drauf gewartet nach diesem ständigen „Jawohl, Herr Puntila“, das bei Klaas Schramm weder devot klingt noch taktisch, sondern die ganze Zeit passiv-aggressiv nach „Jaja heißt leck mich am Arsch“. Keine Spur von der geistig-moralischen Überlegenheit, nach der die Rolle so schreit, sondern schlicht verdruckste Wut, die sich ausschließlich an der Frau entladen wird, die so frech war, ihre Bedürfnisse zu zeigen.

Und sein Abgang zum Ende, der eigentlich mit Schmiss die Gewaltspirale von Ausbeuter und Arbeiter aufkündigt, der geht in dieser Inszenierung nur andeutungsweise über die Bühne. Den Gefallen eines Schlussstrichs, den tut einem hier erfreulicherweise keine*r.

Wieder am 27. 11. sowie am 13., 20. und 27. 12., 20 Uhr, Oldenburgisches Staatstheater

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