Die Welt im Glas

Künstlerinnen und Forscherinnen tauchen in der Ausstellung „Experimentalraum Aquarium“ gemeinsam ins Meer

Die Naturforscherin Jeanne Villepreux-Power Foto: André-Adolphe-Eugène Disdéri

Von Helmut Höge

„Weshalb gehen die großen Dichter nicht gelegentlich ins Aquarium?“, fragte sich Joseph Roth. Zwanzig Frauen, Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, beteiligen sich nun an einer Ausstellung über das Aquarium. Die Veranstaltung findet im Schöneberger „State Studio“ statt. Ich ging mit dem Gedanken des Schweizer Tierphilosophen Markus Wild hin: „Wir brauchen ein neues Bild vom Fisch“ – wurde aber enttäuscht. Kein einziger Fisch war zu sehen, obwohl es an Aquarien nicht mangelte.

Die Audio-Künstlerin Antje Vowinckel machte daraus zum Beispiel einen „News-Room“, indem sie Nachrichtenzettel im Wasser flattern ließ – zu Stimmen von bekannten Sängern. Dem Programmzettel entnahm ich, dass das Ganze eine „Produktion von Büro Rix“ ist, die im „Bereich experimenteller Musik und Klangkunst“ siedelt.

Immerhin ist diese Hörschau der autodidaktischen Naturforscherin Jeanne Villepreux-Power gewidmet, die von 1794 bis 1871 lebte und vor der Küste Siziliens das Leben im Meer erforschte, wobei sie sich auf Mollusken (Weichtiere) konzentrierte, vor allem auf den Papiernautilus: eine Krakenart, deren Weibchen sich eine dünne Schale bauen, ähnlich einem Schneckengehäuse, das sie mit sich tragen und ihrer Eiablage dient. Jeanne Ville­preux-Power hat angeblich das Aquarium erfunden, um die Meerestiere länger und genauer zu studieren, sie nannte es „Power Cage“.

Das Problem war dabei, wie kann man den Tieren eine „Umwelt“ im Aquarium bieten, die ihnen genügt. Erst spät kam man darauf, das die Pflanzen mit Hilfe von Licht CO2 aufnehmen und Sauerstoff abgeben, den die Fische im Aquarium zum Leben brauchen; sie atmen dafür CO2 aus, den die Pflanzen brauchen.

Etwa zur selben Zeit wie die Nautilus-Forscherin nahm der Chemiker Justus von Liebig gelegentlich ein geschlossenes Aquarium mit in seine Vorlesungen, um zu zeigen, wie der lichtinduzierte Gasaustausch dem Leben darin eine selbstgenügsame Existenz schafft. Die Kunsthistorikerin Ursula Harter setzt in ihrem Buch „Aquaria“ (2014) die Erfindung des Aquariums bei den „chinesischen Goldfischbassins“ an – im ersten vorchristlichen Jahrhundert. Während die auf der Ausstellung mit einem Vortrag vertretene Kulturwissenschaftlerin Mareike Vennen in ihrem Buch „Das Aquarium“ (2018) die Geschichte der „Welt im Glas“ mit den ersten Glaskästen für Pflanzen in England beginnen lässt.

Weichtier und Wollust

Die Kunsthistorikerin Silke Försch­ler bietet ein Gespräch über die Faszinationsgeschichte des Argonauten (ein Weichtier) an. Und die Audioautorinnen Katharina Ludwig und Sandra Babing beschäftigen sich mit einer wissenschaftlichen Veröffentlichung von Jeanne Villepreux-Power über den Argonauten. Während die Medienwissenschaftlerin Claudia Reiche Zeichnungen dieser Kraken mit frühen physiologischen Abbildungen der „weiblichen Wollustorgane“ verbindet. Es geht ihr um „Begehren und Erkenntnis“, ähnlich thematisiert die Künstlerin Mara Wagenführ mit ihrer Installation „I am Water“ den Körper als Mikrokosmos.

Die Anziehung von Meer und Mutter (la mer – la mere), Wasser und Frauen, gehört zur feministischen Theoriebildung: So argumentierte unter anderen die englische Anthropologin Elaine Morgan in ihrem Buch „The Aquatic Ape“ (1982), dass es die Frauen waren, die einst, nach Verlassen der Bäume, Schutz vor ihren Feinden im Wasser gesucht hätten. Dort lernten sie den aufrechten Gang, die Schmackhaftigkeit der Muscheln, bekamen eine glatte, unbehaarte Haut, veränderten sogar ihre weibliche Anatomie und wurden intelligent und verspielt (während die Menschenmänner dagegen quasi auf dem Trockenen hocken blieben – und jede Menge Jäger-Idiotismen ausbildeten). Heute sind die meisten Meeres- und Symbiose-Forscher Frauen.

Das raumgreifendste Kunstwerk auf den drei Etagen der Ausstellung bauten die Klangkünstlerinnen Christina Ertl-Shirley und Ruth Waldeyer: eine begehbare Skulptur aus gefalteten Pergamentbögen, im Inneren hört man das Meer. Keine Meeresmuschel, sondern eine Argonautenschale. Andere künstlerische Arbeiten sind eher klein – wie mit Stäbchen gebaut.

Die Wassermusikerin Tomoko Sauvage eröffnete die Vernissage mit Unterwassertönen. Die Komponistin Felicity Mangan stellte eine griechische Ouzo-Flasche mit Wasser auf einen Sockel und spielte dazu die Geräusche von Agäis-Fischen, die sie ebenfalls mit einem Unterwassermikrofon aufgenommen hatte. Es wurde überhaupt viel mit Unterwassermikrofonen gearbeitet. Die Fotografin Uta Neumann breitete dagegen handfeste Fundstücke von Strandspaziergängen aus: schwarz-weiße Steine und ein überwachsenes Treibholz.

„Experimentalraum Aquarium“, State Studio in Schöneberg, Hauptstr. 3, tägl. 12–19 Uhr, bis 7. Dezember