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„Es ist gut, nicht in einer Protestecke fest zu sitzen“

Seit 25 Jahren treffen sich Menschen mit Behinderung in Bremen einmal im Jahr und machen sich im Behindertenparlament für ihre Belange stark. Bremens Behindertenbeauftragter Joachim Steinbrück über Inklusion in Schulen, fehlende Wohnungen und die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für Angestellte in Werkstätten

Interview Alina Götz

taz: Herr Steinbrück, wie haben Sie den Anfang des Bremer Behindertenparlaments 1994 erlebt?

Joachim Steinbrück: Ich bin bereits in den 90er-Jahren gefragt worden, ob ich die Präsidentschaft übernehmen will – weil ich behindert bin und als Richter tätig war. Ich habe das Parlament also zweimal geleitet und als ungemein lebendig und kritisch wahrgenommen. Es ist gut, nicht in einer Protest­ecke festzusitzen, sondern politisch konstruktiv mitzuwirken.

Sie waren bereits vor der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 Behindertenbeauftragter des Landes Bremen. Was hat die Konvention denn in Bremen verändert?

Die erste große Auswirkung hatte sie auf das Bremer Schulgesetz 2009. Der Auftrag zur Inklusion wurde Teil der Schulreform.

Und wie steht es heute um die Inklusion in Schulen?

Grundsätzlich war die damalige Entscheidung richtig. Das Problem war und ist, dass Bremen den Reformprozess nicht ausreichend mit Ressourcen ausgestattet hat. Es wurde von falschen Voraussetzungen ausgegangen, nämlich sinkenden Schülerzahlen und damit auch genügend Lehrkräften und Räumen. Zu spät wurden die falschen Prognosen erkannt.

Ein weiteres Problem ist, dass es beim Übergang von der Schule ins Berufsleben hakt.

Ja. Man wird zwar gemeinsam unterrichtet, aber ab Klasse elf werden diejenigen mit kognitiver Einschränkung ausgegliedert, in Sonderklassen an berufsbildenden Schulen. Oft betreten die Betroffenen dann die ausgetretenen Pfade Richtung Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Diese haben zwar ihre Berechtigung, aber es muss Alternativangebote geben.

Wurde in der letzten Sitzung des Behindertenparlaments deshalb ein bedingungsloses Grundeinkommen für Werkstatt-Mitarbeiter*innen gefordert?

Natürlich müssen die mehr verdienen, der Mindestlohn gilt dort nicht. Dass Menschen mit 35 Stunden Arbeit in der Woche, auch wenn sie vielleicht nicht so produktiv sind wie nichtbehinderte Menschen, auf Sozialleistungen angewiesen sind, ist nicht in Ordnung. Aber diese Sondereinrichtungen für behinderte Menschen attraktiver zu machen, finde ich auch schwierig. Besser wäre, Alternativen auszubauen und sie attraktiv auszugestalten.

Wie gut läuft die Umsetzung der UN-Konvention denn grundsätzlich in Bremen?

Wir haben etwas erreicht, aber es gibt noch viele Baustellen – im wahrsten Sinne des Wortes.

Sie spielen auf die Probleme beim Wohnen und Bauen an?

Ja. Im Behindertengleichstellungsgesetz steht, dass es bis 2023 eine Bestandsaufnahme der Barrieren in öffentlichen Gebäuden geben soll. Darauf aufbauend soll ein Konzept zu deren Abbau entwickelt werden – aber ohne Zeitrahmen. Eine schwache Regelung. Und beim Thema der rollstuhlgerechten Wohnungen stecken wir fest: Der Bedarf ist inzwischen festgestellt, aber wir müssen noch klären, wie mittel- bis langfristig die Versorgung von Menschen mit Rollstuhl mit bezahlbaren Wohnungen sichergestellt werden soll. Hierfür benötigen wir auch die Unterstützung der Spitze des Bauressorts. Die vermisse ich noch.

Das kann ja noch kommen …

… wenn das Ressort sich sortiert hat und die neue Staatsrätin Anfang des nächsten Jahres ihre Arbeit aufgenommen hat.

Joachim Steinbrück, 63, ist seit 2005 Behindertenbeauftragter des Landes Bremen. Zuvor war er als Richter tätig. Im April 2020 geht er in den Ruhestand.

Braucht Behindertenpolitik ein eigenes Ressort?

Es gibt ja ein zuständiges Referat bei der Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Die Zuständigkeit auf ein Ressort zu konzentrieren, birgt aber immer die Gefahr in sich, dass die anderen Ressorts Themen wegschieben, in denen die Worte „behinderte Menschen“ auftauchen.

Während der Koalitionsverhandlungen nach den Bremer Wahlen im Mai haben Sie Forderungen eingebracht. Freuen Sie sich, dass viele davon im Regierungsvertrag stehen?

Natürlich freue ich mich über das Aufgreifen eines Großteils der Forderungen, aber die Umsetzung hängt vom Haushalt und den konkreten Aktivitäten ab. Aber ich weiß zum Beispiel, dass die Sozialsenatorin die Schaffung von 30 neuen Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte in Inklusionsbetrieben sehr ernst nimmt.

Sie gehen im nächsten Jahr in den Ruhestand. Welche Fähigkeiten muss ein*e Nachfolger*in mitbringen?

Auf jeden Fall Zähigkeit und Ausdauer. Bei dem Thema möchten zwar viele Akteur*innen in Politik und Verwaltung keinen Ärger haben, aber es gibt doch viel passiven Widerstand, vor allem in der Verwaltung. Es gibt aber auch Mitarbeiter*innen, die offen für die Anliegen behinderter Menschen sind und diese aktiv unterstützen.

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