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Zur Safari nach Dänemark

Verschiedene Events sollen in den Wintermonaten mehr Touristen auf die dänische Insel Rømø locken. In diesem Jahr fand erstmals auch das Austernfestival statt, das an die lange Austerntradition der Insel erinnert. Bei Austernsafaris können Besucher die invasive Pazifische Felsenauster direkt im Watt verspeisen. Für Vegetarier gibt es auf Rømø aber auch etwas zu tun

Von Rømø Jens Fischer

Da ist diese polarluftige Brise, die einen ins Watt vor der Insel Rømø treibt. Nordseefrisch riecht der schlickige Boden, Würmer übersäen ihn mit Spaghettihäufchen aus Sand. Verzweifelt versucht Krebsgetier dem flüchtenden Wasser hinterherzukrabbeln. Nur Wattwanderfrischlinge drohen im Matsch zu versinken, müssen ihre Gummistiefel darin stecken lassen. Barfuß geht es weiter. Immer weiter. Bis die ersten Objekte der Begierde einfach so zwischen Kieseln und Algen herumliegen oder mit Steinen, Holzbalken, betonierten Küstenbefestigungen verwachsen sind.

Während sie anderswo zu Spitzenpreisen gehandelt werden, kosten sie hier nur die Mühe, sich zu bücken und sie aufzuheben: Es sind fingerkuppenkleine, bis vierzig Zentimeter lange, wenige Zentimeter dicke Pazifische Felsenaustern mit außen schrundiger, innen perlmuttschillernder Schale. Im Wattenmeer finden sie beste Lebensbedingungen. Es handelt sich um ein Naturschutzgebiet, in dem die Gezeiten für Bewegung sorgen, sodass jedes Schalentier pro Tag aus rund 240 durch die Kiemen strömende Liter Wasser sein Lieblingsgericht Plankton filtern kann.

Fressfeinde gibt es keine. Nur Menschen, die hier gerade an einer Safari zu den wilden Austernbänken teilnehmen und die Meeresfrüchte pflücken. Mit einem Messer lassen sich die Schalenhälften öffnen, schon liegt es vor einem, das Glibberwesen in seiner salzigen Nordseesoße. Frischer geht nicht. Schnell ein paar Tropfen Zitrone draufpressen und das lebendige Fleisch aus seiner Schale schlürfen. Sanft salzig reizen nussige, fischige und tangwürzige Aromen die Geschmacksnerven. Ein Mundvoll Meer. Nichts für Vegetarier, klar, aber sehr lecker.

Zum Verdauen serviert Safari-Führerin Bente Krog einen selbst gebrannten Wattenmeerkräuterschnaps. Und erklärt: Jeder dürfe hier so viele Austern ernten, wie er gerade verzehren mag. Auch welche für den Eigenbedarf mitzunehmen, sei erlaubt. Was Touristen beglückt, können viele Einheimische nicht mehr sehen: Jeden Tag kostenlos Austern in sich hineinlöffeln, macht eben auch keinen Spaß. Dabei sind sie sehr gesund – enthalten reichlich Mineralien und Vitamine, kaum Kalorien, dafür ganz viel Zink.

Ein Rømøer Unternehmen, das sich um professionellen Abbau, weltweite Vermarktung und die Verarbeitung der Tiere zu Oyster-Sauce kümmerte, musste 2014 schließen. Seither ist das Gebiet Weltnaturerbe und jede kommerzielle Nutzung untersagt. Weswegen es auch kein Austernlokal in der Nähe gibt. Nur Sterneköche aus Kopenhagen lassen morgens mal Austern einsammeln, die sie abends ihren Gästen servieren.

„Derweil haben sich 72.000 Tonnen dieser Spezies in die Küstenlandschaft eingeschrieben“, erzählt Kenneth Madsen, Tourismuschef der Insel. Schiffe würden die Larven aus Asien oder den Aquakulturen Frankreichs mitbringen, viele aber auch einfach herübertreiben von Sylt, wo die gemeine Pazifische Felsenauster mit viel Firlefanz als „Sylt royal“ kultiviert wird. Und aus den Niederlanden, wo sie in den 1980er-Jahren angesiedelt wurde.

Die Europäische Auster und eine dänische Unterart sind auf Rømø bereits seit den 1950er-Jahren ausgestorben. Nun überwuchert die invasive Art alles. Auch Miesmuschelbänke. „Wir müssen etwas dagegen tun“, sagt Madsen. Und setzt auf eine Win-win-Aktion: gezielte Vermarktung der lokalen Geschichte der Austern, inklusive der authentischen Erfahrung ihres Genusses im Watt, in den Hotels oder in Kochkursen. Mehr Touristen sollen mehr Austern essen und damit der ums Überleben kämpfenden Insel helfen.

Mehr Touristen sollen mehr Austern essen und damit der Insel helfen

„Im 17. Jahrhundert lebten hier 1.500 Menschen, jetzt sind es noch 535“, erzählt Mary-Anna Wraae Larsen vom Inselarchiv. „Es gibt keine Schule mehr, kein Altersheim, von den sechzig Höfen werden noch zwei hauptberuflich bewirtschaftet.“ Arbeit gibt es nur in den Ferienparks. Und dort ist die Saison begrenzt, von Mitte Juni bis Ende August. Dann ist Rømø sehr beliebt und seit 1948 auf einem Damm auch leicht per Auto zu erreichen. Weiterrasen und ihre Ökobilanz verschlechtern dürfen die Fahrer am größten Sandstrand Nordeuropas, aber eben auch baden oder in den sanft bewaldeten Dünen verschwinden.

Jede Erhebung mit mehr als zwei Meter Höhe hat einen Namen, 19 Meter über dem Meeresspiegel ragt in einer malerischen Heidelandschaft die höchste empor. Höstbjerg heißt der Ort: höchster Berg. Er blieb auch von den Nazis nicht unbestiegen. Eine ihrer 54 Bunkeranlagen auf der Insel bauten sie in den „Berg“ hinein. „Mehr als 2.000 Wehrmachtssoldaten lebten einst in Baracken auf Rømø, überwachten die Deutsche Bucht und entwickelten Radaranalgen“, erzählt Wraae Larsen. Sie bietet auch Touren zu diesen versteckten Orten an.

Militär stört auch heute noch die idyllische Urlaubsstimmung auf der Insel. Die dänische Luftwaffe nutzt einen von Kühen und Panzerattrappen bewohnten Küstenabschnitt regelmäßig als Schießübungsplatz. „Der Kriegslärm ist bis in die Baderegion zu hören“, sagt Wraae Larsen. Ins Positive wenden das die Werbeprofis der Insel und laden zum „Düsenjäger-Spotting“.

Touristisch ruhig wird es ab Oktober. Obwohl gerade jetzt viele Aktivitäten reizen. Die Insel ist ein prima Ort zum Angeln, Golfen, Reiten, Wandern – und Fahrradfahren, Motto: Die Berge auf Rømø sind die steifen Westwinde. Die jetzt leeren Strände sind Paradiese für Strandsegler, Kitebuggy- und Blokart-Fahrer, die Nordsee gilt als gutes Einsteigerrevier für Kiter und Windsurfer. Indoor-Baden ist im Wellness-Bereich des Enjoy Resorts Havneby möglich. Aber jetzt haben fast alle Restaurants und viele Geschäfte geschlossen, ein Großteil der jährlich eine Millionen Übernachtungen sind bereits absolviert, die 2.000 Ferienhäuser, der neu gebaute Caravan-Platz, Camping-Areale und Hotels nicht mehr ausgebucht.

Auch stehen immer wieder historische Häuser mit Jugendstil- und gründerzeitlichen Elementen zum Verkauf. Wo einst Deutsche wohnten, sind die Fenster grün, die der Dänen rot gerahmt. Nächstes Jahr wird 100. Jubiläum gefeiert: 1920 hatten sich die Rømøer vom Deutschen Reich verabschiedet und sich als dänisch deklariert.

Die Wunden des Zweiten Weltkriegs bestärkten die skandinavische Bindung, aber heute bestimmt ein herzliches deutsch-dänisch-englisches Sprachkauderwelsch den Alltag, der sich noch entspannt gestaltet. Da aber in allen Monaten mit „r“ Austernsaison ist, soll diese Rømø ab sofort auch im Herbst und Winter bis zum April mit Touristen beleben.

Im Sommer ist das Austernfleisch milchig und wenig schmackhaft, da die Herma­phroditen mit dem Laichen beschäftigt sind. Von Oktober an bringen die Austern ihr Schließmuskelfleisch wieder in Form und arbeiten am köstlichen Eigengeschmack. Prima Koinzidenz: Dann ist auch die Wassertemperatur kalt genug, dass keine Bakterien und giftige Algen in den Schalen überleben und der frische Genuss daher auch gut bekommt.

Also auf zur Vermarktung der touristisch mauen Monate: Nach Oldtimer-Rennen, Drachen-Festival, Reitwettbewerben wird nun auch „Danmarks Østersfestival“ gefeiert. Aber nicht so schickimicki wie auf Sylt, sondern volkstümlicher. Die Rømø-Vermarkter versuchen den Gegenentwurf, würden gern Sylturlauber schon an der Fähre zur Nachbarinsel abwerben. Die Rivalität der Inseln erreicht einen Höhepunkt, wenn mal wieder ein auf Sylt abgebrochener Strand in Rømø angespült wird und teuer zurückgekauft werden muss.

„Für das Austernfestival bei uns musste es schnell gehen“, sagt Madsen. „Wir hatten nur sechs Wochen Vorbereitungszeit, da die bisherigen Ausrichter auf Fanø, die wie alle Nordseeinseln von Austern heimgesucht wird, die Finanzierung nicht hinbekamen und wir eingesprungen sind.“ Das Event wird in den nächsten Jahren fortgeführt. 2019 waren 2.000 Gäste da, nächstes Jahr sollen es 8.000 werden. Geboten wurden dieses Jahr eine paar Wettbewerbe, Koch-Workshops für Erwachsene und Kinder sowie eine Messe der Austernköche.

Am ersten Abend bleiben die Fachleute unter sich und präsentieren Austern aus zwölf Ländern. Am nächsten Tag kämpfen 25 junge europäische Köche mit ihrer Art, Austern zuzubereiten, um den Sieg. Bedingung: möglichst viele lokale Zutaten sind zu verwenden, etwa frisch von den Salzwiesen gezupfte Kräuter oder am Wegesrand geerntete Farne. Jeder Koch bespielt auch einen Show-Stand und verköstigt seine Kreationen für sechs Euro das Stück an die Besucher. Vollendet frisch. Es herrscht eine Atmosphäre wie auf einem Streetfood-Festival. Irritiert zeigen sich viele nur vom reichlichen Champagner-Angebot, Bier wäre doch viel landestypischer, einige der 45 dänischen Brauereien hätten sicherlich die passenden Austernbegleiter im Angebot.

http://romo-tonder.dk/de/

www.romo-tours.dk/

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