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Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit verzerrt

Polit-Komödien und Gesellschaftssatiren aus neun Jahrzehnten sind beim Filmerbe-Festival „Cinefest“ in Hamburg zu sehen

Von Wilfried Hippen

Als der neue US-Präsident Ronald Reagan 1981 ins Weiße Haus einzog, erkundigte er sich nach dem markanten, von Ken Adam entworfenen „war room“, den er aus Stanley Kubricks Film „Dr. Strangelove“ kannte. So wirkungsvoll ist Satire selten; wenn der Zeitgeist sich verändert, fallen auch ihm verpflichtete Arten des Lächerlichmachens durch. So erging es Billy Wilder: Die Komödie „Eins Zwei Drei“ entstand im Jahr des Mauerbaus – als der Film in die Kinos kam, fand kaum jemand Witze über das geteilte Berlin komisch.

Ohne die beiden genannten, Filme wäre ein Programm mit historischen Gesellschaftssatiren und Polit-Komödien unvollständig, also laufen sie beim diesjährigen Internationalen Festival des deutschen Film-Erbes, „Cinefest“ in Hamburg – so wie auch „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch oder Wolfgang Staudtes Defa-Klassiker „Der Untertan“.

Interessanter als solche vergleichsweise gut verfügbaren Klassiker sind aber auch in diesem Jahr eher die selten gezeigten Fundstücke im Programm. So erinnert der 1937 entstandene „Mein Sohn, der Minister“ von Regisseur Veit Harlan – ja, der, der auch „Jud Süß“ verantwortete – daran, dass Satire nicht nur eine Richtung kennt: Die Geschichte um den Wechsel eines französischen Kulturministers macht den Parlamentarismus lächerlich und setzt ihn unterschwellig mit dem Kommunismus gleich. Und wussten Sie, dass die Zeichentrickadaption von George Orwells „Farm der Tiere“ aus dem Jahr 1954 von der CIA finanziert wurde?

Skandale und Skurriles

„Ästhetisch unter der Grenze, sittlich anstößig und politisch einseitig“: So urteilte der Intendant des Süddeutschen Rundfunks 1961 über das Fernsehspiel „Die Sendung der Lysis­trata“ von Fritz Kortner, in dem die junge Romy Schneider zum ersten Mal gegen ihr Sissy-Image anspielte: Die antike Komödie Aristophanes’, neu interpretiert als satirischer Angriff gegen die Atomare Aufrüstung – einer der großen Fernsehskandale der frühen 1960er-Jahre.

Eher skurril ist dagegen Heinz Hilperts „Der Herr vom anderen Stern“. In der Komödie aus dem Jahr 1948 spielt ausgerechnet Heinz Rühmann einen Außerirdischen, der in die Mühlen der deutschen Bürokratie gerät. (Wem das noch nicht reicht: Für „Warum die Ufos unseren Salat klauen“, auch im diesjährigen Cinefest-Programm, verpflichtete Hansjürgen Pohland 1979/80 unter anderem Hildegard Knef, Curd Jürgens und Günter Pfitzmann.)

Nicht skurril, dafür beklemmend visionär ist der Stummfilm „Die Stadt ohne Juden“ von Regisseur Hans Karl Breslauer: Darin wurde 1924 durchgespielt, wie sich eine Stadt kulturell und wirtschaftlich verändert, wenn aus Antisemitismus ein umzusetzendes politisches Programm wird. 90 Jahre später entstand David Wnendts Verfilmung der Bestseller-Hitlersatire „Er ist wieder da“ – bemerkenswert, wie gut sich diese beiden Filme trotz des zeitlichen Abstands thematisch ergänzen.

16.–24. 11., Hamburg, Alle Vorstellungen im Metropolis-Kino. Programm und Infos: www.cinefest.de

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