Terror als Antwort auf Tötung

Droht ein Gazakrieg? Während Israel um eine Regierung ringt, eskaliert die Lage in der abgeriegelten Exklave

Von Jannis Hagmann

Mit heftigem Raketenbeschuss haben Extremisten aus dem palästinensischen Gazastreifen am Dienstag auf mehrere gezielte Tötungen durch Israel reagiert. Sie schossen Dutzende Raketen auf zivile Gegenden in Israel ab, auch auf Tel Aviv. Israel hatte am Morgen unter anderem einen Befehlshaber der Terrorgruppe „Islamischer Dschihad“ (IJ) und dessen Frau getötet. Baha Abu al-Atta ist laut Armee „verantwortlich für die meisten Angriffe aus Gaza im vergangenen Jahr“.

Später beschoss das israelische Militär zwei Männer auf einem Motorrad, bei denen es sich um IJ-Mitglieder gehandelt haben soll. Laut Anwohnern wurde einer getötet. Ein weiterer Mann kam ebenfalls bei einem Luftangriff ums Leben. Der IJ steht der im abgeriegelten Gazastreifen herrschenden Hamas nahe und hat enge Verbindungen zum Iran.

Syrische Medien berichteten darüber hinaus über einen Raketenangriff auf das Haus eines Islamisten in Damaskus, bei dem zwei Menschen getötet worden sein sollen. Dieser blieb von israelischer Seite allerdings unbestätigt. Die Angriffe des IJ verletzten mehrere Zivilisten in Israel, getötet wurde niemand. Am Dienstagnachmittag ging der gegenseitige Beschuss nach Angaben der israelischen Armee weiter.

Die Hamas erklärte, Israel sei verantwortlich für „alle Konsequenzen dieser Eskalation“, und sprach von einer „Kriegserklärung“, schoss aber keine Raketen nach Israel.

Die Eskalation kommt inmitten der Regierungsbildung in Israel. Ministerpräsident und Verteidigungsminister Benjamin Netanjahu ist lediglich kommissarisch im Amt. Die Tötung Abu al-Attas genehmigte er, nur wenige Stunden bevor ihn Naftali Bennett im Verteidigungsressort ablöst. Der Ex-Bildungsminister gilt als rechter Hardliner und hat sich in der Vergangenheit für gezielte Tötungen ausgesprochen – eine Strategie, von der die Regierung jüngst Abstand genommen hat.

„Wir können den politischen Kontext nicht ignorieren“, sagte der Militäranalyst der israelischen Tageszeitung Ha’aretz, Amos Harel. „Netanjahu ist sich der Tatsache bewusst, dass eine Eskalation der Lage zu öffentlichem Druck führen würde, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.“ Netanjahu, dessen Likud bei der Wahl im September weniger Mandate erhielt als das Bündnis seines Konkurrenten Benny Gantz, drohen das Karriereende sowie eine Strafverfolgung wegen Korruption. Eine Einheitsregierung könnte es Netanjahu ermöglichen, im Amt zu bleiben und einer Strafverfolgung zu entgehen. „Das mag nicht der Hauptgrund sein“, sagte Harel, „aber ich bin sicher, dass Netanjahu dies im Kopf hatte, als er dem Vorschlag der Armee zustimmte, Abu al-Atta auszuschalten.“