: Spezialpräventive Hamburger Linie
Amtsgericht verurteilt drei Bauwagenbewohner wegen „gemeinschaftlicher Nötigung“ zu Geldstrafen. Sie hatten mit ihren Fahrzeugen an einer Aktion in der Hafenstraße teilgenommen. Verteidigung hält Urteil für fragwürdig und legt Rechtsmittel ein
VON KAI VON APPEN
Die „Hamburger Linie“ der Kriminalisierung der Bauwagenszene setzt sich fort: Drei Besitzer von Wohn-Lastern sind gestern wegen der Aktion „Einmal im Leben pünktlich sein“ vom Amtsgericht in einem Musterprozess zu jeweils 50 Tagessätzen Geldstrafe (500, 750, 1.000 Euro) verurteilt worden. Verkehrsrichter Lutz Nothmann sieht es als erwiesen an, dass sie sich durch ihre Teilnahme einer „gemeinschaftlichen Nötigung“ schuldig gemacht haben. Die harte Strafe, die über der Forderung der Staatsanwaltschaft liegt, begründet er mit „spezial- und generalpräventiven Erwägungen“.
In den frühen Morgenstunden des 24. April 2004 hatten sich 99 Bauwagen unangemeldet vor den ehemals besetzten Häusern an der Hafenstraße eingefunden, um für die Akzeptanz dieser Wohnform zu werben. Nach zwei Stunden löste die Polizei die zunächst genehmigte Versammlung ohne Begründung auf, obwohl der Forderung, einen Versammlungsleiter zu benennen, nachgekommen worden war. Der frühere Bürgerschaftsabgeordnete von GAL und Regenbogen, Norbert Hackbusch, übernahm diese Funktion. Bei der Räumung wurden auf Weisung von Einsatzleiter Thomas Mülder rollende Wohnungen demoliert (taz berichtete).
Im Gegensatz zu allen Prozessbeteiligten geht Nothmann in seiner Urteilsbegründung davon aus, dass die Aktion zu keinem Zeitpunkt dem „Schutz des Versammlungsrechts“ unterlegen habe, da sie vorher nicht angemeldet worden sei. „Somit war es formell eine rechtswidrige Versammlung.“ Die Aktion sei lange vorbereitet worden und hätte ordnungsgemäß angemeldet werden müssen: „Jedem wäre daher bewusst gewesen, dass er sich von Anfang an rechtswidrig verhält“, befindet Nothmann.
Wer „ungewöhnlich früh“ in großer Zahl in St. Pauli einfalle, Autos „kreuz und quer“ aufstelle, um „eine Räumung zu erschweren“, so der Richter, für den stehe nicht das Anliegen im Mittelpunkt, sondern der „Überraschungseffekt“. Zudem sei die Aktion für das ganze Wochenende angelegt gewesen, und für diesen Zeitraum sei die „Blockade der Hafenstraße als Nebenfolge in Kauf“ genommen worden. Mit dieser „physischen Barriere“ sollten Autofahrer „mit Gewalt gezwungen werden, die Fahrtroute zu ändern“. Zwar müssten nach den Kriterien des Verfassungsgerichts „sozialadäquate Beeinträchtigungen“ durch Demos hingenommen werden, in der „Dauer der Blockade“ aber sieht Nothmann „eine Störung der öffentlichen Sicherheit“.
Mit der Höhe der Geldstrafe bleibt der Richter auf dem ursprünglichen Level der Strafbefehle. Die Höhe von 50 Tagessätzen war jedoch ausdrücklich damit begründet worden, dass es durch die Aktion zu „erheblichen Verkehrsbehinderungen“ gekommen sei. Im Prozess hatte sich aber herausgestellt, dass es kein Verkehrschaos gab. Daraufhin hatte Staatsanwältin Sylvia Kühne ihre Strafforderung auf 30 Tagessätze gesenkt.
Die Verteidigung hat Rechtsmittel eingelegt. Unklar ist zurzeit, ob in Berufung oder Revision gegangen wird. In der Berufung würde mit Sicherheit Einsatzleiter Mülder als Zeuge gehört, der für die Ereignisse verantwortlich zeichnet. Anderseits hat Nothmann möglicherweise Rechtsfehler gemacht, so dass auch eine Revision vor dem Oberlandesgericht in Frage kommt. „Es gibt diverse Urteile, dass eine Nicht-Anmeldung einer Demo kein alleiniger Auflösungsgrund sein kann“, so Anwalt Andreas Beuth. „Eine Nicht-Anmeldung ist eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat.“