: Epische Musik, simple Botschaft
Vom ungarischen Flüchtling zur deutschen Prog-Rock-Legende: Der Produzent und Musiker Leslie Mandoki stellt am 30. Jahrestagdes Falls des Eisernen Vorhangs am Gendarmenmarkt sein neues Konzeptalbum mit Stars wie Bill Evans und Peter Maffay vor
Von Jan Feddersen
Nach gut 200 Gesprächen mit Künstler:innen gleich welcher Musiksparte möchte ich bekennen: Niemand steht mit einer solchen Leidenschaft hinter dem, für das er einsteht – und was er am 9. November 2019 im noblen Konzerthaus am Gendarmenmarkt auch dem Publikum konkret vorstellt. Leslie Mandoki, 66 Jahre alt, erzählt von seinem Doppel-CD-Album „Living In The Gap“ wie von einem neuen Spross, den er zur Welt gebracht hat. An einem Vormittag in einem Hotelcafé am Potsdamer Platz, frisch eingeflogen aus seiner bayerischen Heimat, sagt er: „Es ist das beste Album meines Lebens.“
Mandoki, gebürtiger Ungar, ist nicht irgendjemand in der Popmusik-Branche. 1975 kam er in die Bundesrepublik, mit gleichaltrigen Kumpels war er aus dem realsozialistischen Ungarn geflogen, weil er die kulturelle Enge seines Landes nicht mehr ertragen konnte. Er wollte dorthin, „wo die Freiheit ist, wo man anderer Meinung sein kann als die, die alle zu äußern haben“.
Mandoki war ein Maniac, damals schon: bloß nicht unterkriegen lassen, es durch Können und Kunst schaffen wollen, rasend ehrgeizig, überlebenswillig. Doch er verdiente erst Geld, als er 1978 in München Kontakt zum Musikproduzenten Ralph Siegel fand, der damals der Maestro des deutschen Eurovision-Song-Contest-Wesens war. Mandoki wurde Teil der Gruppe Dschinghis Khan. Mit ihr schnupperte er am Super-Erfolg, als sie beim ESC 1979 in Jerusalem den vierten Platz belegten.
Das ging einige Jahre gut, Mandoki jedenfalls war am Erfolg Dschinghis Khans beteiligt, aber er, der studierte Musiker, wollte mehr. Träumte von Musik, die verbindet, von dem, wie er zustimmend zitiert, was Udo Lindenberg zu Deutschland sagte, als er von der „Bunten Republik Deutschland“ sprach – wobei Mandoki ergänzt, „das Braune hat in dieser Buntheit nichts zu suchen“.
Der längst in der goldtapezierten Gegend in Oberbayern lebende Mann verfügte bald über ein eigenes Tonstudio und über hinreichende Mittel, um nicht von Chart-Erfolgen abhängig zu sein. Zudem hatte er viele Kontakte in alle Welt, vor allem kannte er die Adressen von Rockmusikern, von Deep Purple, Emerson, Lake & Palmer, Supertramp oder auch Peter Maffay.
So kam es 2004 zur ersten Produktion eines Albums namens „Soulmates“, musikalische Produktionen von Seelenverwandten. 15 Jahre nach dem letzten Album kommt nun ein weiteres hinzu, es heißt „Living In The Gap“, programmatisch nicht zufällig, denn Mandoki sagt: „Wir leben in einer gespaltenen Gesellschaft, Nord und Süd, West und Ost, Mann und Frau, arm und reich“ – er wolle mit seiner Musik dazu beitragen, dass es wieder Gesprächsbereitschaft, ja, „Diskurse“ der Gegenübergestellten gebe. Der Spaltpilz, der sei sein Feind.
Tatsächlich ist Leslie Mandoki in der deutschen Rockszene durchaus eine zwiespältige Figur, gemessen an der Moral der politischen Korrektheit etwa im Kampf gegen rechts. Der Deutsche, der er seit Langem ist, wählt als Bayer regelmäßig die CSU und hat schon für die CDU ein Wahlkampflied geschrieben, genauer für die von ihm verehrte Kanzlerin Angela Merkel, also jene Politikerin, die den Moment, an dem Hunderttausende an Geflüchteten nach Deutschland kamen sowie die Bankenrettung vor zehn Jahren als „alternativlos“ bezeichnete.
Mandoki, ein freundlicher Mann, beharrt darauf: „Nichts ist alternativlos, dieses Wort hat in mir etwas Unangenehmes berührt.“ Er plädiert für, er wiederholt das Wort, „Diskurs“: „Die Freiheit, die ich wollte, als ich vor über 40 Jahren aus Ungarn flüchtete, kannte ich nicht – aber ich wollte leben, dass man sagen kann, wenn man nicht einverstanden ist – to agree to disagree.“
Er sagt, das neue Album sei sein „Vermächtnis“. Das heiße nicht, dass es seine letzte Produktion sei, aber er will mit den vielen Künstler:innen, die mitmachten, eine Botschaft aussenden: „Wir sprechen von Achtsamkeit und Nachhaltigkeit – aber sprechen nur darüber, wir folgen diesen Worten nicht. Ich bin ein alter Rebell, jetzt sind die jungen Rebellen dran.“ Er sympathisiert mit aller Freude mit den jungen Menschen, die für Fridays For Future stehen, für die Friedlichkeit des Protests gegen eine klimageschädigte Welt, die aus den Fugen geraten sei.
„Haben wir doch bitte kein 5-nach- 12-Gefühl, das wäre gefährlich.“ „Okay, meine Generation hat versagt, wir haben den Wohlstand vermehrt, achtlos die Friedenszeit genossen, aber viele soziale Ungerechtigkeiten hingenommen, die Wirtschaft ist ein Spekulationsobjekt geworden, keine, in der echte Arbeit zählt.“
Mandoki hat eine Message: „Woodstock ist ein Leuchtturm unserer Erinnerung, meiner Generation. Wir müssen es neu schaffen, für das Heutige.“ Dafür mobilisierte er Chris Thompson, Bobby Kimball, Ian Anderson, Jack Bruce, Al Di Meola, John Helliwell, Bill Evans – die Crème de la crème der noch spielfähigen Prog-Rock-Leute, plus Till Brönner und besagter Maffay, auch seine Tochter Julia machte mit.
Die Aufnahmen fanden in seinem oberbayerischen Studio statt, was Leslie Mandoki so kommentiert: „Lebe deine Träume, träume nicht nur dein Leben.“
Dass die zweite CD des Albums dem ungarischen und antinazistischen Komponisten Béla Bartók gewidmet ist, möchte für Mandoki Ehrensache sein: „Er hat die Tonspuren meines Lebens entscheidend mitkomponiert – er war mir ein Vorbild, seine Haltung, seine Moral, sein Einstehen gegen Antisemitismus. Das ist heute wichtiger denn je – wir bekamen ja in Halle vor einigen Tagen keine Alarmzeichen zu sehen, sondern pure Gewalt, die Alarmzeichen gab es schon vorher. Gehen wir raus aus unseren Komfortzonen, verlassen wir unsere Filterblasen. Das Leben ist ernst geworden. Die Jungen sollen kämpfen, wir haben es auf unsere Art auch gemacht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen