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Einseitige Küche

Trotz eines erlesenen Kaders hält Atlético Madrid am Underdog-Fußball fest.In der Liga klappt das nur mäßig. Am Mittwoch gastiert das Team in Leverkusen

Aus Madrid Florian Haupt

Diego Pablo Simeone hat es gern rustikal. Der Argentinier steht nicht für Haute Cuisine, eher für die Volksküche, und mit deren gekonnter Interpretation hat er es zu einem der führenden Chefs Europas gebracht. Sein Erfolgsgeheimnis: unbedingte Menütreue. „Dass uns keiner verwirrt!“, forderte er kürzlich: „Uns schmeckt Pizza. Und wenn dir Pizza schmeckt, dann iss Pizza, nicht anderes.“

Übersetzt auf den Fußball sollte das heißen: Keine Flausen, bitte. Seit acht Jahren trainiert er Atlético Madrid, seit acht Jahren werden eiserne Defensive, aufopferungsvoller Einsatz und messianischer Glaube dargeboten, versinnbildlicht in den zwei großen „Cojones“, die Simeone vorige Saison während des Achtelfinalspiels gegen Juventus mit seinen Händen in die Luft zeichnete. Seine Konterrevolution gegen die Verfeinerung des Angriffsfußballs durch Trainer wie Pep Guardiola ist vielerorts kopiert worden, und hat Atlético selbst vom wankelmütigen, nostalgischen und finanziell angeschlagenen Traditionsklub in einen der führenden Vereine des Kontinents verwandelt. „Simeone ist ein Phänomen“, konzediert auch der stilistisch gegensätzliche Peter Bosz, Trainer des heutigen Champions-League-Gegners Bayer Leverkusen. Mit geschätzt 24 Millionen Euro Grundgehalt verdient er nicht umsonst mehr als jeder seiner Spieler – und gilt als bestbezahlter Übungsleiter der Welt.

Das ewige Atlético. Nach sieben Punkten aus drei Spielen liegt es in der Champions League auf Kurs, beim 1:0 gegen die Rheinländer vor zwei Wochen lieferte es eine Vintage-Performance: wenig Risiko vorn, noch weniger Löcher hinten, und ein spätes Kopfballtor des eingewechselten Álvaro Morata. In der Liga allerdings lesen sich Zahlen weniger gut. 21 Punkte aus zwölf Spielen bedeuten den schlechtesten Saisonstart der Simeone-Ära und reichen nur für einen Platz in der Spitzengruppe, weil es keiner viel besser macht und die ersten 13 Mannschaften innerhalb von fünf Punkten liegen. Geradezu schockierend ist die Torausbeute: Zwölf Tore aus ebenso vielen Spielen, weniger hatte Atlético in seiner Geschichte zu diesem Zeitpunkt der Saison noch nie.

Angesicht einfallsloser Heimspiele musste sich die Mannschaft schon mehrfach Pfiffe gefallen lassen – das war sonst immer ein No-Go. Nicht zum ersten Mal, aber bestimmter denn je liegt eine ketzerische Frage in der Luft: Wo Atlético in und dank der Simeone-Ära seinen Etat auf 515 Millionen Euro vervierfachen konnte, wo es im Sommer mit 127 Millionen Euro für den 19-jährigen João Félix (derzeit verletzt) den teuersten Transfer Europas tätigte, wo es mittlerweile in der Funkelarena Wanda Metropolitano spielt und die Gegner wie zuletzt Sevillas Trainer Julen Lopetegui „einen der fünf besten Kader des Kontinents“ attestieren – müsste da nicht der Schritt vom Underdog-Fußball zum Favoriten-Fußball erfolgen? „Wir sind nicht mehr die Mannschaft des Volkes“, räumte Simeone im Sommer selbst ein. Dennoch serviert er weiter Pizza. Oder versucht es.

„Wenn dir Pizza schmeckt, dann iss Pizza, nicht anderes“

Trainer Diego Simeone

Kontrolle jeder Spielsituation bis ins letzte Detail, die perfekte Belegung der Räume, das atemberaubend synchrone Pressing: Das waren immer die Stärken unter Simeone. Doch diese Saison zeigt Atlético bisher seinen besten Fußball eher in Notsituationen: Wenn es die Schemata verlässt und mit Herz und Mut gegen Rückstände anspielt, so wie in der Champions League beim 2:2 gegen Juventus Turin (nach 0:2) oder am Samstag beim 1:1 in Sevilla, als in einer furiosen zweiten Halbzeit nicht nur der Ausgleich herausgespielt wurde, sondern auch ein Abseitstreffer, ein verschossener Elfmeter und ein weiterer Elfmeter, der nicht gegeben wurde.

Der Trainer sucht noch nach der richtigen Mischung, nachdem im Sommer sechs Stammspieler gingen, darunter eine komplette Abwehrreihe und Offensivstar Antoine Griezmann. Unter den Neuzugängen gibt es vielversprechende Ansätze, aber noch keine durchweg überzeugende Leistungsträger. Bester Mann der Saison ist Mittelfeldspieler Thomas Partey, der schon lange da ist, aber erst jetzt Stammspieler wurde. „Wer mitarbeiten will, wird sich gut mit mir verstehen; wer nur mit dem Finger auf andere zeigt, bestimmt nicht“, erklärt derweil Simeone: „Mir gefallen solche Momente.“ Momente der Zweifel, Momente der Veränderungen. Oder eben nicht. Diego Simeone fühlt sich auch nach acht Jahren nicht verbraucht, denn er ahnt die Geschichte auf seiner Seite. Mit welcher Belegschaft auch immer: Pizza kommt nie aus der Mode.

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