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„Dann eben Kaninchen!“

Für die Künstlerin Juliana Huxtable sind Fundstücke aus der unheimlichen und schönen Onlinewelt, in der jeder sein kann, was er will, Rohstoff für ihre Werke. Beim Musik- und Kulturfestival DICE spricht sie über ihre Arbeit

Juliana Huxtable weiß, was es bedeutet, aufzufallen Foto: Juri Hiensch

Von Philipp Hindahl

„Ich glaube an die Anarchie der Identitäten. Die Konservativen sagen, wenn Männer zu Frauen werden, dann können sie ebenso gut Kaninchen sein – ich denke mir, okay, dann eben Kaninchen“, sagte Juliana Huxtable einmal in einem Interview. Sie ist DJ, Autorin und Künstlerin, und bei der diesjährigen Art Basel in Hongkong tapezierte sie den Stand ihrer Galerie mit einer barocken Wucherung von Eileitern, Tintenfischarmen und Orchideenblüten. Davor hingen digital bearbeitete Fotos von Huxtable, in lasziven Posen, mit aufgemalten Tierfellmustern, oder vornübergebeugt und mit sechs Brüsten. Auf den Holzrahmen waren Aufkleber angebracht: „Darwin’s Dream Girl“ oder „Interspecies Liberation Front“ – wie eine Parodie auf die identitätspolitischen Konflikte unserer Zeit.

In den sozialen Medien und in der Identitätspolitik heißt die Währung Sichtbarkeit. An ihr lassen sich Erfolg und Fortschritt messen. Das aber, so Huxtable, sei eine Falle. Denn Sichtbarkeit allein ist nicht progressiv, eher Zeichen eines pornografischen Blickes auf die Körper marginalisierter Menschen.

In ihrem Gedicht „Train“ schreibt sie: „A man passes you on the train and glares at you“, der erst wohlwollende Blick wird zu Ekel. Huxtable weiß, was es bedeutet, angestarrt zu werden. 1987 in eine schwarze Baptistenfamilie geboren, intersexuell, aufgewachsen im ländlichen Texas, war sie als Teenager immer besonders sichtbar. Das Internet hat für sie die Türen zu einer noch unerschlossenen Welt aufgestoßen. „Mir wurde klar, dass ich in dieser Welt meine eigene Identität entwickeln kann“, erklärte Huxtable in einem Vortrag vor Kunststudierenden.

Die feinen Unterschiede

Die Kleinstadt wurde irgendwann zu klein, und Huxtable zog an die Ostküste, um am Bard College Kunst zu studieren. Ihren Eltern erzählte sie, dass sie Ökonomie und Politikwissenschaften belegte. Schnell wurden der Künstlerin die feinen Unterschiede an der Privat­universität bewusst, denn ihre Lehrer kritisierten, sie wäre zu sehr am reinen Handwerk interessiert, sie wäre nicht frei genug. „Schwarze wurden in diesem Milieu mit harter Arbeit assoziiert, nicht so sehr mit Kunst“, sagt sie.

Enttäuscht nahm sie einen Zug nach New York und entdeckte dort das Nachtleben, zog schließlich in die Metropole, nahm einen Job als Anwaltsgehilfin an und ging abends aus. Wie eigentlich schon immer war der Club in den frühen 2010ern nicht nur ein Ort zum Feiern, sondern ein soziales Experimentierfeld. Er war der Ort, an dem ihre Identität nicht bloß der Schnittpunkt fremder Blicke ist. Die mittlerweile als trans Frau lebende Huxtable kündigte und startete die Party-Reihe „Shock Value“. Mit diesem hedonistischen Unterfangen, sagt sie, begann ihre Performancepraxis.

Zu jener Zeit verschoben sich die Parameter der Kultur, wenn auch nur ein kleines Stück. Die Blogging-Plattform Tumblr ermöglichte ab 2007, Bilder, Videos und Texte zu posten und zu teilen, und gilt als einer der Katalysatoren für den Hype um Post-Internet-Art. Hier veröffentlichte auch Huxtable Lyrik, Essays und Bilder ihrer Performances.

Der Weg vom Internet in die Institutionen war kurz, und die New Museum Triennial in New York initiierte 2015 Huxtable in die Kunstwelt. Bei der Ausstellung waren ihre Selbstporträts und Gedichte zu sehen, davor stand die Skulptur eines anderen Künstlers, auch ein Abbild von Huxtable: Metallisch schimmernd und mit langen geflochtenen Zöpfen liegt sie auf dem Podest. Das Magazin Vogue erklärte sie zum Star der Schau.

Die Wurzeln von Huxtables Arbeit reichen noch immer bis in die Subkulturen der Onlinewelt, ihre Lyrik klingt theoriegesättigt, ihre Bilder sprechen die Sprache von Afrofuturismus, aber hypersexualisiert und in rauschhaften Farben. Ihre neuesten Bilder sind angelehnt an Furries, Menschen also, die sich aus, nun ja, Fetischgründen in Plüschkostüme hüllen und sich in Internetforen austauschen. Denn wenn man ein Plüschtier sein kann, warum nicht? Die digital bearbeiteten Fotos verhandeln die Verschmelzung von Mensch und Tier, die Begegnung mit dem Anderen.

Huxtable sammelt die Splitter der Onlinewelt, Verschwörungstheorien, Begehren, Fetische und Feminismen, andere Arbeiten nutzen die Ästhetik von politischem Protest. All das verdichtet sie zu absurd schönen Bildern, die mit Lyrik und Musik im Orbit um die Person Juliana Huxtable kreisen. Alles eine Utopie? Uneindeutig: „Die Zukunft scheint ziemlich düster“, sagte Huxtable einmal. Das neueste Bild auf ihrem Instagram-Account zeigt aber Bernie Sanders, der in die Kamera blickt – klar zuversichtlich. Oder?

Das DICE Festival findet vom 31. Oktober bis 2. November in der Taborkirche, im Bi Nuu und an weiteren Orten in Berlin-Kreuzberg statt. Juliana Huxtable spricht am 31. 10. um 20 Uhr. Programm unter: www.dice.berlin

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