Lieber Bauch statt Kopf

Mit dem Postdigitalen hatte die Jahresausstellung der bremischen Künstler*innen eigentlich ein vom Verband vorgegebenes, arg verkopftes Thema. Aber die Künstler*innen wollten nicht einfach irgendetwas Zeitgeistiges machen

Bilder aus besseren Tagen: Felix Dreesens „Bauzaunzauber“ vor dem Hauptbahnhof Foto: Michael Schnelle

Von Jan Zier

Mit Gruppenausstellungen ist es ja meist ein bisschen so wie mit „Greatest Hits“-Alben. Sie haben oft den Charakter eines Sammelsuriums, weil die Werke eben doch nicht wirklich zusammengehören und das Ganze nicht mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile. In den „Parallelwelten“, der Jahresausstellung des Bremer Landesverbandes der bildenden Künstler*innen (BBK), ist das auch so. 14 Werke wurden aus über 50 ausgesucht, und sie schlagen einen sehr weiten Bogen.

Trotzdem ist es gut, dass der BBK sich gegen das eigentlich vom Verband vorgegebene, arg verkopfte Thema „postdigital – von a nach b nach a“ entschieden hat. Digitalisierung, das war ihnen zu wenig, und sie wollten auch nicht irgendwas zeitgeistig Anmutendes mit „post-“ machen, weswegen sie gleich ein „u. v. a“ dahintergehängt haben. Um Parallelwelten also sollte es gehen, obwohl das schon wieder eine sehr analoge, beinahe überkommene Sicht der Dinge ist.

Elianna Renners Arbeit „Rosier des chiens“ passt darum sehr gut hierher, die Digitalisierung kommt hier allerdings nur als Verneinung vor. Der Besucher steht, etwas unbequem gebückt, vor einem altertümlichen Kasten mit hölzernem Drehknauf, in dem sich ein großes Panoptikum aus der Welt der Hundezüchter*innen und Rassehundeausstellungen entfaltet. Die analogen Fotos darin sind diesbezüglich zwar ein wenig erwartbar, aber durchaus nicht einfach nur lustig anzusehen. Denn die peepshoweske Versuchsanordnung entlarvt den Besucher als einen Voyeur, dessen Erwartung befriedigt wird. Sie hinterfragt, und das ist ihre Stärke, unsere eigene Wahrnehmung.

Auch Monika B. Beyers Arbeit „Ich bin die alte Hirsch“ tut das, indem sie unserem Umgang mit Videokunst den Spiegel vorhält – in einem fünfminütigen Video. Und das wiederum ist zu schnell und zu langsam zugleich: Buchstaben ploppen auf einem schwarzen Bildschirm auf, aber irgendwie sind die Wörter nicht recht zu erfassen, und noch eh sie einen echten Zusammenhang bekommen könnten, ist der Anfang auch schon wieder vergessen.

Später kommen Zeichnungen dazu, die wiederum viel zu schnell durchrauschen. Unweigerlich ertappt man sich bei aufkommender, immer stärker werdender Ungeduld. Und der Suche nach einem Sinn! Wobei: Muss denn alles, auch hier in der Kunst, immer gleich einen am besten im Vorübergehen leicht konsumierbaren Sinn ergeben? Eben. Also: Es lohnt sich, dem Impuls, das Werk innerlich eben abzuhaken und gleich weiterzugehen, doch einen Moment zu widerstehen und die eigene Ungeduld auszuhalten. Und den Text können Sie notfalls im Netz nachlesen: www.parallelwelten.info.

Neben solchen eher leisen Arbeiten gibt es aber auch laute, lebensfroh-bunte wie „Dance“ von dem in Bremen bislang eher unbekannten Ghaki Okazaki, der in Japan klassische Pigmentmalerei studiert hat, ehe er hierherkam. Das ist gut zu wissen, denn seine nicht nur von Brüsten und Penissen, sondern vor allem von starken Komplementär-Kontrasten lebenden Motive bedienen sich fernöstlicher Malerei des 18. Jahrhunderts. Hierzulande denkt man unwillkürlich gleich an Hippies und die psychedelische Drogenkultur der Sechzigerjahre. „Nein, der kifft nicht“, sagt Kurator Jürgen Amthor beim Rundgang durch die Ausstellung. Und wieder einmal werden wir mit unserer – in diesem Falle eurozentristischen – Wahrnehmung konfrontiert.

Stimmig trotz offensichtlicher Unterschiede: „Same – same“ von Susanne K. Willand Foto: Galerie/bbk

Nicht alle Arbeiten wirken indes auf den ersten Blick – Anja Engelkes Fotografien „Room 125“ etwa funktionieren nur, wenn man auch weiß, dass sie in ihrer Wohnung das Hotelzimmer aus Stephen Shores Foto „Room 125“ nachgebaut hat, das einst das Profane der amerikanischen Siebziger zur Kunst erhoben hat.

Die Künstlerin lebt in genau diesem Bild. Und wer da nur den Kopf schüttelt, für den gibt es ja immer noch Johann Büsens Virtual-Reality-Brille „Diorama“ oder Harald Buschs „Ortswechsel“, dessen beinahe skulpturale Gegenüberstellungen zu langem Sinnieren einladen. Die Sache mit der Wahrnehmung, Sie wissen schon.

Ach ja: Das Rahmenprogramm lohnt übrigens auch einen Blick. Denn auch „Greatest Hits“-Alben haben ja oft Bonustracks, die man sonst zu unrecht übersehen hätte.

Bis 10. 11., Bremen, Güterbahnhof, Tor 40, Do und Fr, 15 bis 18 Uhr, Sa und So, 14 bis 19 Uhr