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Piranhas mit Doppelbadehose

Randständiges in Serie (4): „Gut Nass“ sagen Wasserballer und kneifen zu. Barfußbesuch beim Pokalmatch

Aus Aachen Bernd Müllender

Osthalle. Pokalmatch, 2. Runde. Erstmals trifft der heimische Zweitligist ASV in einem Pflichtspiel auf ein Bundesligateam: Duisburg 98, den siebenfachen Meister. Draußen auf dem Parkplatz gibt es fast einen Stau. Ein Ansturm, als spielte die abgewrackte Alemannia mal wieder gegen den 1. FC Köln. An die 150 ZuschauerInnen sind schließlich gekommen. „Schuhe aus!“, schallt es auf dem Weg zur Tribüne durch die Sammelumkleide. Wasserball ist der einzige Ballsport, bei dem man zwangsbarfuß zuguckt oder sich Adi- respektive Nikeletten mitnehmen sollte.

Die Aachener haben den ersten Pfostentreffer, Duisburg wirft die ersten Tore. 1:4 steht es nach dem ersten Viertel. Der Duisburger SV 98 war zuletzt 2013 Meister. Das Maß aller Dinge sind hierzulande die Wasserfreunde Spandau 04. Seit 1979 haben die Berliner 37 Titel geholt, also fast immer, da wird Uli Hoeneß gelb vor Neid.

Irgendwer hat mal gesagt, wenn Hunderte TriathletInnen ihren Massenstart machen, wirkten sie wie ein Schwarm Piranhas. Beim Wasserball sind zwar nur 14 solch blutrünstiger Fische unterwegs, aber der Kampf um den Ball, vor allem bei Konterangriffen, macht das Geschäume und Gespritze nur umso intensiver. Es ist schwülwarm in der Halle, als wäre man tatsächlich am Amazonas.

Auf Englisch (und in vielen anderen Sprachen) heißt Wasserball seltsamerweise Water Polo. Als wären Pferde dabei. In London wurden 1870 auch die ersten Regeln fixiert. Man redet sich mit „Liebe WaBas“ an, kurz für WasserBaller, und wünscht sich „Gut Nass“. Dann wird hingelangt.

Was die da offensichtlich abkriegen im Kampf um die Kugel – aber anscheinend machen die Spieler das alles freiwillig. Wasserball ist gnadenlos. Vor allem unter der Wasseroberfläche: da wird gezogen, gekniffen und getreten, dass es den Beobachter schon in der Vorstellung schmerzt. Der Nachbar zur Linken ist vom Fach. Er war 1975 mit Aachen Deutscher Hochschulmeister. Er erklärt, dass alle Akteure zwei Badehosen trügen, damit man bei einem fetzenden Unterwassergriff nicht gleich nackt dasteht. Und klar, alle trügen Suspensorien, diese Schutzkorsetts für Männer.

Der Mann war also in einer Zeit aktiv, als er Hagen Stamm noch am Gemächt hätte zupfen können. „Nein“, sagt er, „der war doch eine andere Liga.“ Weltklasse halt. Hagen Stamm ist so was wie der Franz Beckenbauer des Wasserballsports: Der nasse Kaiser bestritt 323 Länderspiele (750 Tore), holte mehr als ein Dutzend Titel mit Spandau, zwei EM-Titel, die Bronzemedaille bei Olympia 1984 und war vierfacher Europapokalsieger. Seit 2000 ist er, heute 59 Jahre alt, mit einer kurzen Unterbrechung Bundestrainer. International ist Ungarn das Maß aller Dinge: neun Olympiasiege. Wasserball ist seit 1900 olympisch.

Spektakulär lenkt Aachens Goalie einen Wurf aus kürzester Distanz über die Latte. Tosender Applaus. Den Eckwurf verwandelt der Wurfversager mit Schnitt direkt. Diese abgezockten Erstligisten. 2:14 steht es nach drei Vierteln. „Nur noch 12“, ruft einer. „Das wird aber schwer“, kommt als Antwort. Die Stimmung ist gut.

Es gibt so viele tolle Sportarten mit Ball. Warum geht man ausgerechnet ins Wasser damit, zumal der Mensch eindeutig ein Landtier ist? Der fachkundige Nachbar argumentiert erwartungsgemäß dagegen: Wenn man schon schwimme, sei es doch besser, das Terrain zum Spielplatz zu machen statt nur Bahnen zu ziehen. Auch wahr.

5:18 heißt es am Ende, enttäuschend deutlich. Fast hätte die Heimelf wenigstens das letzte Viertel noch gewonnen. Zwei Lattentreffer und ein vergebener Fünfmeter sprachen dagegen. Aachener Wechselspieler tauchten dafür auffallend eleganter und spritzerfreier ins Nass als die Ruhrpottschwimmer, die auch mal per Arschbombe in den Nahkampf gingen. „Das liegt sicher daran“, raunt der Nachbar zur Rechten, der auch erstmals so einem Piranhakampf beiwohnt, „dass Aachen Turmspringerstadt ist.“ Nur, eine weitere Pokalrunde gab es für die B-Note nicht. Es gab auch keinen Trikottausch.

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