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Anschluss an die Avantgarde verpasst

Bilder zwischen Vorahnungen und Selbstbehauptung – in der Kunsthalle Kiel wird das Weimarer Werk der Malerin Lotte Laserstein präsentiert. 1937 flüchtete sie vor dem Antisemitismus in Deutschland nach Schweden – und malte dort Porträts und Landschaften

Von Frank Keil

Das sieht nach Ärger aus. Überstanden zwar, aber noch liegt Enttäuschung, Wut und auch Fassungslosigkeit in der Luft. So wie sie an ihm vorbeiblickt, fast starr, wo er doch ihre Hand so fest und umschlungen hält. Und dabei den Kopf gesenkt hält, ehrfurchtsvoll und wie um Entschuldigung zu bitten: Es war nicht so gemeint, er wird sich ändern, alles wird doch noch gut – in diese Richtung werden wir schauend geführt.

Schlicht „Ein Paar“ heißt das Gemälde von Lotte Laserstein aus dem Jahr 1930, eines der Highlights der Laserstein-Ausstellung, die derzeit die Kunsthalle Kiel füllt.

Traute Rose, Lasersteins Ein-und-alles-Modell war zu dem Zeitpunkt, als sie für die Frau dieses Paarbildes Modell saß, gerade mal 27 Jahre alt – und sieht doch doppelt so alt aus: grau, abgelebt, vom Dasein enttäuscht und starr ratlos. Lotte Laserstein selbst war 32 Jahre alt – drei Jahre war es her, dass sie ihr Malereistudium in Berlin beendete und sich sogleich in die Arbeit stürzte und ein erstes eigenes Atelier aufbaute. Viel Zeit wird ihr als Kind einer jüdischen Familie in Berlin nicht gewährt werden.

Selbstbehauptung

„Das Hauptwerk der Lotte Laserstein drängt sich auf die Weimarer Jahre“, sagt Regina Göckede, Kuratorin der Kieler Station der Ausstellung, die zuerst im Frankfurter Städel, dann in der Berlinischen Galerie gezeigt wurde und nun eben an der Förde ein letztes Mal Station macht. Nicht alle Bilder wurden von den bisherigen Stationen übernommen, manch Leihgabe ist neu hinzugekommen: wie eben das beeindruckende Paarbild.

Das Schöne an der Kieler Version ist ansonsten: Lasersteins Werke sind diesmal sehr luftig gehängt, auch werden sie sehr gekonnt vor Wänden mit sanften Pastelltönen präsentiert, was ihnen ein wenig von ihrer Erdschwere nimmt. Die Ausstellung wirkt überhaupt so, als sei die Aufgabe, die lange fast verschollene Künstlerin einer größeren Öffentlichkeit mit einigem Druck überhaupt wieder bekannt zu machen, nun einigermaßen erledigt und man kann durchatmen, kann endlich in die Feinheiten gehen.

Dabei fehlen nicht ihre Hauptwerke, nicht das wunderbare Selbstbehauptungswerk „Selbstporträt mit Katze“ und auch nicht das wuchtige „Abend über Potsdam“: eine Abendszene auf einem Balkon, die Stadt liegt fünf jungen Menschen zu Füßen, die an einem langen Tisch zu Abend sitzen. Doch niemand schaut sich an, niemand redet, eine seltsame Starrheit hat die Anwesenden erfasst und lässt sie nicht mehr los; zu ihren Füßen liegt ein Schäferhund, abgebrochenes Brot liegt auf dem Tisch, das letzte Abendmahl stand Pate.

1930 gemalt beziehungsweise fertigstellt, da sind es noch drei Jahre bis die Republik von Weimar nun in aller Systematik in Schutt und Asche gelegt wird und sich vollzieht, was schon lange angebahnt wurde. Alles scheint in diesem Bild angelegt und somit erkennbar: die Bedrückung, die Hilflosigkeit und die Stummheit des Kulturbürgertums, das nicht weiß, was tun. Die Party der 1920-Jahre, so sie denn überhaupt zu genießen war, ist endgültig vorüber, auch wenn der Tisch noch gedeckt ist.

Flucht nach Schweden

Interessant daher auch das Bild „Die Unterhaltung“, gemalt Jahre später – 1934: Drei Männer haben sich auf einen Dachboden zurückgezogen und sind in ein offenbar heftiges Gespräch vertieft, zu ihren Füßen liegt wieder der Schäferhund, den wir schon vom Potsdam-Bild her kennen.

Es gibt in diesem Bild wie auch im Potsdam-Bild keine offene politische Konnotation zu entdecken. Aber warum ziehen sich drei Männer 1934 in eine karge Dachkammer zurück, wo es den dicken Mänteln nach, in denen sie gekleidet sind, auch noch ziemlich kalt gewesen sein muss? Warum zieht es sie so ins Abgeschiedene, Heimliche und am Ende Versteckte?

Lotte Laserstein gerät ob ihrer jüdischen Herkunft über die Jahre immer mehr unter Druck, muss ihre private Mal- und Zeichenschule schließen, darf nur noch jüdische Kinder unterrichten. 1937 nimmt sie eine Einladung, ihre Werke in Stockholm zu zeigen, als Chance, dort im Land zu bleiben, noch dazu, wo sie ihre ihr wichtigen Werke nun bei sich hat. Schnell heiratet sie einen Schweden, den jüdischen Kaufmann Sven Jakob Marcus, es ist eine Scheinheirat, man trifft sich nur zum amtlichen Termin und sieht sich danach nicht wieder.

Sie hat nun die schwedische Staatsbürgerschaft und das Aufenthaltsrecht, sie weiß, dass sie als Emigrantin in Schweden sonst nicht sicher wäre: Geflüchtete, auch aufgenommene Juden müssen stets eine Kennkarte mit dem Buchstaben J bei sich tragen. Immer wieder gibt es in der schwedischen Öffentlichkeit wüste Debatten, dass man die Ausländer und besonders die Juden wieder loswerden sollte, besser heute als morgen. Und als später die Wehrmacht Norwegen überfällt, erlaubt die schwedische Regierung ihr, dafür durch ihr Land zu marschieren.

Künstlerisch verlegt sich Laserstein bald und (nach dem, was man bisher weiß) entschieden auf die Auftragsmalerei. Malt Landschaft für Landschaft, technisch versiert, aber ohne Ecken und Kanten einzuflechten und fern von einer Infragestellung dieses Genres. Sie porträtiert via Auftrag ganze Großfamilien durch, vom Enkel über den Hausherren bis zur Großmutter; Adelsfamilien, großbürgerliche Familien, Honoratioren, und sie kann ihren Lebensunterhalt davon gut bestreiten, macht sich auch in dieser Gattung einen Namen.

Der fehlende Blick

Sie ist formal ungeheuer produktiv, auf 10.000 Werke wird ihr in Schweden entstandenes Werk geschätzt, während sie aus ihrer Berliner Zeit rund 300 Gemälde und gut 100 Arbeiten auf Papier hinterlassen hat. Ein wenig aus den schwedischen Jahrzehnten ist am Ende der Ausstellung zu sehen – und auch wenn man sich Mühe gibt, ihr Können, ihre Fertigkeit und ihre Kraft zu finden, es fehlt etwas, und zwar etwas Entscheidendes: der andere, eigene Blick.

Der schwedische Schriftsteller Fredrik Sjöberg, voll des Lobes über die Malerei der Berliner Lotte Laserstein, fällt in seinem neuesten Buch „Vom Aufhören“, das sich anhand der Leben und der Werke des Malers Olof Algrens und eben der Malerin Lotte Laserstein dem Verschwinden und dem Scheitern widmet, ein hartes Urteil über die schwedische Lotte Laserstein: „Niemals habe ich eine Malerin oder einen Maler ihres Kalibers so blindlings und tief in die bodenlose Grube der süßlichen Pastelle fallen sehen.“

Wie sollte es auch anders sein. Abgeschnitten von ihren Freunden, ihren Kollegen, ihren Kunden, auch ihrem Modell Traute Rose, das ihr eine lebenswichtige Vertraute war, lebt sie eben nicht in einem der quirligen Exilzentren, wo man zuweilen das kreative Potential der hierher Getriebenen zu nutzen versteht. Dazu kommen ganz private Sorgen, dann Katastrophen: Alle ihre Versuche, ihre Mutter nach Schweden nachzuholen, scheitern und Meta Laserstein wird 1943 in Ravensbrück ermordet. Käte, Lottes ihr nahe Schwester, überlebt mit ihrer Lebensgefährtin in einem Versteck in Berlin und kann später die so lang erlebten Todesängste kaum abschütteln.

An Lotte Laserstein erinnert sich kaum jemand im Nachkriegsdeutschland oder wartet gar auf sie. Im Gegenteil: Wo man nun sehr eifrig und vorauseilend – sozusagen typisch deutsch – allem Gegenständlichen abschwört, besonders die gegenständliche Malerei unter den Generalverdacht der Propagandaverfügbarkeit, wenn nicht -hörigkeit stellt und sein Heil in der Abstraktion, im radikal Ungegenständlichen erst sucht und folglich findet, ist für eine vordergründig klassische Malerin wie Laserstein kein Platz vorgesehen.

Lotte Laserstein selbst hat auf ihre Weise offenbar geahnt, dass sie den Anschluss an die zeitgenössische Malerei im Sinne einer wie auch immer auszurichtenden Avantgarde verpassen wird. Bereits 1948 schreibt sie in einem Brief (und sie wird noch mehr als 40 Jahre lang malen), ihr Stil zu malen sei „hoffnungslos altmodisch“.

Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht“: bis 19. Januar 2020, Kunsthalle zu Kiel.

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (Prestel Verlag, 192 S., 45 Euro)

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