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: Sprache mit und ohne Hass

BDS als vielstimmige Initiative für Freiheit zu verharmlosen verkennt ihr Kalkül. Kamila Shamsie den Nelly-Sachs-Preis nicht zu geben ist richtig

Foto: Karsten Thielker

Jens Uthoff

arbeitet seit 2011 für die taz und ist Mitarbeiter der Kultur- und der Sport­redaktion. Er schreibt vor allem über Popmusik und Literatur und lebt in Berlin.

Der Nelly-Sachs-Preis ist eine Auszeichnung, die auf Dialog zielt. Mit ihm sollen „Persönlichkeiten geehrt und gefördert werden, (…) die in ihrem Leben und Wirken geistige Toleranz, gegenseitigen Respekt und Versöhnung unter den Völkern und Kulturen verkünden und vorleben“.

Die jüdische Schriftstellerin Nelly Sachs, eine der Ersten, die bleibende Worte fand für den Holocaust („O die Schornsteine“, 1947), eignet sich für dieses Anliegen als Namensgeberin wie kaum Eine_r. Als die Lyrikerin, die vor den Nazis aus Berlin nach Stockholm geflohen war, im Jahr 1965 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm und ins Land der Täter zurückkehrte, erklärte sie: „Wenn ich heute, nach langer Krankheit, meine Scheu überwunden habe, um nach Deutschland zu kommen, so nicht nur, um dem deutschen Buchhandel zu danken, sondern auch den neuen deutschen Generationen zu sagen, dass ich an sie glaube. Über alles Entsetzliche hinweg, was geschah, glaube ich an sie.“

Es ist gut, sich das noch mal so in Erinnerung zu rufen, wenn man nun die Debatte über die diesjährige Vergabe des Nelly-Sachs-Preises rekapituliert. Was war passiert? Die pakistanischbritische Schriftstellerin Kamila Shamsie sollte mit dem Preis geehrt werden – die Jury nahm die Auszeichnung aber zurück, weil sich herausstellte, dass Shamsie eine aktive Unterstützerin der Israel­boykottkampagne BDS ist, die ihre Bücher nicht ins Hebräische übersetzen lässt. Zu Recht verwies das Gremium darauf, dass ein Eintreten für BDS „im deutlichen Widerspruch zu den Satzungszielen und zum Geist des Nelly-Sachs-Preises“ stehe. Es folgte – man unterschätze niemals den Lobbyismus der BDS-Kampagne – ein offener Brief von 250 Intellektuellen, die sich für Shamsie und für das „Recht auf Boykott“ einsetzten.

Nun soll also ausgerechnet der Fall eines nach Nelly Sachs benannten Preises dazu herhalten, die Ziele und Methoden der BDS-Kampagne zu legitimieren. Es wird immer gern darauf hingewiesen, welch vielstimmige Initiative BDS doch sei, die rein zufällig auch ein paar notorische Antisemiten anziehe. Dabei ist dies doch das Kalkül der Kampagne: sich als heterogene Bewegung zu verkaufen, sich hinter Ambiguitäten zu verschanzen.

Diese Strategie reicht vom bewusst unklaren Postulat im Gründungsmanifest des BDS (BDS Deutschland bezieht sich auf einen Aufruf von 2005, in dem es heißt, Israel müsse die „Besetzung und Besiedlung allen arabischen Landes“ beenden) bis zum Verwirrspiel um Auslegungen und Versionen des Dokuments.

Und sie endet bei der immer wieder vorgetragenen perfiden Analogie von Israel als Apartheidstaat, der die Araber unterdrücke wie einst die Weißen die Schwarzen in Südafrika. Zur Erinnerung: In der Knesset sitzen arabische Abgeordnete, an Gerichten und Hochschule arbeiten arabische und israelische Juristen zusammen. Zur bitteren Ironie gehört dazu, dass BDS-Mitgründer Omar Barghouti an der Tel Aviv University bestens ausgebildet wurde und dort promovierte. All das sind keine neuen Argumente oder Widersprüche. Man muss sie aber offenbar immer neu wiederholen.

Ob die literarischen Qualitäten Kamila Shamsies, die sich in ihrem jüngsten Roman „Hausbrand“ mit islamistischem Terror und dessen Folgen befasst, es hergeben, dass sie die Auszeichnung erhält, ist in diesem Falle sekundär. Als Trägerin eines Preises, der für kulturellen Dialog einsteht, eignet sich eine BDS-Unterstützerin einfach nicht. Das zeigt auch Shamsies Reaktion auf die Aberkennung der Auszeichnung. Es sei „empörend, dass die BDS-Bewegung, die sich gegen die israelische Regierung und ihre diskriminierenden und brutalen Handlungen gegen Palästinenser richtet, als schändlich und ungerecht bezeichnet wird“. Sie spricht von ihrer Unterstützung für eine „friedliche Kampagne, die Druck auf die israelische Regierung ausüben möchte“.

Friedlich? Ernsthaft? Gerade in der Kulturszene konnte man sich zuletzt ein gutes Bild davon machen, welch irrige Annahme es ist, BDS agiere friedlich. Vonseiten der Kampagne wurden Künstler, Booker, Agenturen mit Mails und via Social Media drangsaliert, nicht in Israel aufzutreten oder jede Kooperation mit Israel zu unterlassen. Selbst Orchestermitglieder des heute selbst eher BDS-nahen Dirigenten Daniel Barenboim (West-Eastern Divan Orchestra) wurden von BDS unter Druck gesetzt. Ein Diskussionsforum beim Berliner Festival Pop-Kultur, welches BDS boykottiert, weil die israelische Botschaft Reisekosten für dort auftretende Künstler_innen übernimmt, schrien BDS-Aktivist_innen 2018 nieder. Der Gedanke von Versöhnung und Dialog ist BDS fremd.

Zur Erinnerung: In der Knesset sitzen arabische Abgeordnete, bei Gericht arbeiten arabische neben israelischen Juristen

Shamsies prominente Unterstützer, darunter so unterschiedliche Persönlichkeiten wie J. M. ­Coetzee, Alexander Kluge und Ocean ­Vuong, fragen sich dagegen, „welchen Wert ein Literaturpreis (…) habe, der das Prinzip zur freien Meinungsäußerung und der Freiheit zu kritisieren untergrabe“.

Neben dem merkwürdigen Umstand, dass die Freiheit zu kritisieren immer dann am vehementesten eingefordert wird, wenn es um Israel geht, ist das schlicht Nonsens. Bei der Aberkennung geht es weder um Meinungsfreiheit noch ausschließlich um das literarische Werk einer Künstlerin. Es geht darum, wie die Preisträgerin mit dem Erbe von Nelly Sachs zu vereinbaren ist.

Hans Magnus Enzensberger schrieb 1957 über Nelly Sachs’ großen Gedichtband „In den Wohnungen des Todes“, sie überwinde Adornos Prämisse, nach Auschwitz sei es nicht mehr möglich, ein Gedicht zu schreiben. „Ihrer Sprache wohnt etwas Rettendes inne. Indem sie spricht, gibt sie uns selber zurück, Satz um Satz, was wir zu verlieren drohten: Sprache. Ihr Werk enthält kein einziges Wort des Hasses“, schrieb er. Ein nach ihr benannter Preis sollte auch 62 Jahre später nicht dazu dienen, die Hater salonfähig zu machen.