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„Die Situation ist durchgängig prekär“

Weiterbildung ist nach der Schule größter Bildungsbereich in Deutschland. Gewerkschaftler Roland Kohsiek fordert Gesetz zum Schutz der Mitarbeiter

Interview Kaija Kutter

taz: Herr Kohsiek, Sie haben für die Gewerkschaft Ver.di einen „Branchenreport Weiterbildung“ erstellt? Warum?

Roland Kohsiek: Wer in der Weiterbildung arbeitet, der kennt meist das eigene Unternehmen, vielleicht noch das Umfeld, aber er weiß nicht, wie es mit den anderen Teilen der Weiterbildung aussieht. Für viele, die in diesem Bereich tätig sind oder sich mit Weiterbildung beschäftigt haben, stellten sich immer wieder die Fragen zu Größe und Umfang, aber auch zur Struktur und zu Besonderheiten der Branche. Da sah die Datengrundlage bisher schlecht aus.

Auch bei der Gewerkschaft?

Wir sind als Ver.di-Bundesfachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Weiterbildung zwar gut unterwegs, aber auch wir wissen doch nicht so sonderlich viel. Deshalb haben wir den Report erstellt. Es gab auch den Beschluss unseres Bundesvorstands, für alle Branchen, in denen Ver.di-Mitglieder organisiert sind, Branchenanalysen zu erstellen.

Gibt es „die“ Weiterbildungsbranche?

Die Weiterbildung ist ausgesprochen vielfältig, da sind verschiedene Zugänge möglich. Wir haben die Perspektive des Marktes gewählt.

Wie groß ist der Markt?

Zur geschätzten Größe liegt mittlerweile eine sehr solide Untersuchung vor: Danach sind in der Weiterbildung rund 691.000 Personen tätig, davon 260.000 sozialversicherungspflichtig und knapp 400.000 Honorarkräfte. Zum Vergleich: an den öffentlichen Schulen sind knapp 1,1 Millionen, in den Kitas 643.000 und an den Hochschulen auch etwas mehr als 460.000 Personen tätig – alles offizielle Zahlen. Damit ist die Weiterbildung der zweitgrößte Bildungsbereich und eben nicht das Anhängsel aus Volkshochschulen und ein paar Bildungsträgern. Und die Weiterbildung wächst weiter und zwar gewaltig.

Gibt es ein Problem mit prekärer Beschäftigung und schlechter Bezahlung? Das hört man von Sprachlehrern.

Leider. Und das nicht nur bei den Sprachlehrern. Die Bezahlung und der Status der Beschäftigten sind zentrale Merkmale und Schlüsselpro­bleme der Branche. Honorarbeschäftigung überwiegt – quer durch alle Marktsegmente. Im Sprachschulmarkt und bei der Nachhilfe, die mittlerweile ein Milliardenmarkt ist, gibt beinahe ausschließlich Honorarkräfte. Und selbst da noch deutliche Unterschiede: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zahlt für die Lehrkräfte in den Kursen „Deutsch als Fremdsprache“ und „Deutsch als Zweitsprache“ immerhin 35 Euro pro Unterrichtsstunde. Die durchschnittliche Vergütung liegt quer über alle Bereiche deutlich darunter. Bei einer Nachhilfeeinrichtung in Berlin wird 7,50 Euro pro Unterrichtsstunde bezahlt.

Das liegt unter Mindestlohn. Wie ist das möglich?

Trickreich – sie zahlen 7,50 Euro für eine Unterrichtsstunde mit 45 Minuten, das wird formal umgerechnet auf eine Zeitstunde mit 60 Minuten. Und damit liegt man etwas über dem Mindestlohn. Und bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sieht es nicht besser aus. In dem einen Bereich mit relativ vielen fest Angestellten, bei der Weiterbildung für Erwerbslose, mussten wir mit den Hartz-Gesetzen von 2003 und 2004 einen gnadenlosen Einbruch der Gehälter hinnehmen. Neueinstellungen bewegten sich danach um 2.000 Euro pro Monat für eine Vollzeitstelle und darunter. Erst mit dem Mindestlohntarifvertrag konnte seit 2012 die Spirale nach unten aufgehalten und mittlerweile wieder Anstiege erreicht werden. Also – die Beschäftigungssituation ist durchgängig prekär, niedrige Gehälter, hohe Honorarbeschäftigung und eine hohe Anzahl an Befristungen.

Stimmt es, dass der Weiterbildungsmarkt die Lehrerarbeitslosigkeit der 1980er und 1990er aufgefangen hat?

Eindeutig ja. Ich persönlich habe zu Beginn meines Lehrerstudiums noch mit dem üblichen Beamtenverhältnis gerechnet, wenn auch nicht mit großer Begeisterung. Aber nach dem Examen war diese Perspektive weg. Durch die Expansion des Weiterbildungsmarktes fanden viele ausgebildete Lehrerkräfte und Personen, die ihr Studium abbrachen, was ja nicht nur negativ ist, und unter das Berufsverbot fallende Lehrkräfte eine Perspektive. Die Weiterbildung hatte – nicht nur nebenbei – auch eine arbeitsmarktpolitische Funktion.

Welche Strukturprobleme gibt es in der Branche?

Neben dem eben schon Erwähntem ist es vor allem die Qualitätsfrage. Beinahe alle Anbieter von Weiterbildung verweisen auf ihr „Qualitätsmanagement“ und eine Zertifizierung; manche sogar gleichzeitig auf mehrere. Allein dieses erlaubt den Schluss, dass es mit der Qualität hapern könnte. Eine Untersuchung der Uni Gießen besagt: Es gibt keine einzige Untersuchung, die belegt, dass mit der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems die Qualität bestätigt oder verbessert wurde.

Roland Kohsiek

Gelernter Lehrer, von 1981 bis 2001 beim Berufsfortbildungswerk des DGB GmbH, dann bis Ende 2016 Leiter des Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung im Ver.di-Landesbezirk Hamburg, damit auch zuständig für die Weiterbildung und den Weiterbildungsmarkt, zusätzlich für Arbeitsmarktpolitik zuständig und einige Jahre auch Leiter des Fachbereichs Sozialversicherung.

Aus Nutzerperspektive: Wie gut ist die Qualität gesichert?

Natürlich ist nicht jede Bildungsmaßnahme schlecht – im Gegenteil. Die Branche wird getragen durch ein hohes Engagement der Beschäftigten. Die Qualität ist aber ein Strukturproblem. Fasst alle Träger sind privatwirtschaftlich organisiert, die beinahe einzige Ausnahme sind die Volkshochschulen. Die wirtschaftliche Dimension hat die Oberhand. Allein die beiden größten Anbieter im Nachhilfemarkt wurden in den letzten Jahren von einem Finanzfonds an den nächsten verkauft – mit stolzer Rendite. Für viele Bereiche der Weiterbildung genügt ein einfacher Gewerbeschein und schon kann man Bildung anbieten. Und die Gemeinnützigkeit ist allein eine steuerrechtliche Regelung, die nichts weiter aussagt.

In Zeiten digitaler Bildung, welche Zukunft sehen Sie für die Branche? Braucht man noch so viele Mitarbeiter?

Die Digitalisierung wird natürlich weiter in pädagogische Prozesse vordringen. Ob das nur in einer unterstützenden Funktion passiert oder Angebote ausschließlich online ablaufen, ist offen. Beides existiert bereits heute mit Zwischenstufen. Es gibt ja auch heute bereits die Differenzierung zwischen viel IT-affinen Lernern und den eben nicht mit der IT Vertrauten. Soll aber die politische Perspektive des Lebensbegleitenden Lernens für alle in der Gesellschaft gelten, müssen auch verschiedene Lernformen weiter angeboten werden.

Was fordern Sie politisch?

Oh, gute Frage. Schon seit gut 20 Jahren steht die Forderung nach einem Weiterbildungsschutzgesetz oder Weiterbildungsrahmengesetz im Raum. Gefordert immerhin von Ver.di, GEW und IG Metall. Das wäre ein erster Schritt hin zur Regelung des Marktzugangs und zu verbindlichen Qualitätsstandards.

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